Wir können auch anders

KOCHBUCH Die Berliner Küche entspricht nicht mehr dem Klischee von Eisbein und Bulette. Die jungen Wilden unter den Köchen haben sie längst für sich erobert: „Die Stadt kocht“

Etwas zugleich Wildes und Feines und immer wieder Unkonventionelles

VON KRISTINA SIMONS

„Die Berliner Küche ist eine schlichte, rustikale Küche, die mehr Wert auf deftigen Geschmack und Sättigung als auf Verfeinerung legt.“ So beginnt der Wikipedia-Eintrag zur „Berliner Küche“. Wer einen Blick in die Neuerscheinung „Die Stadt kocht“ wirft, entdeckt hingegen nicht nur eine große Bandbreite an Rezepten von Berliner Köchen, sondern etwas zugleich Wildes und Feines und immer wieder Unkonventionelles.

„Die Berliner Küche entwickelt sich schon eine Weile weg von Eisbein und Co.“, sagt Florian Bolk, Fotograf und Herausgeber des Buches. „Die Stadt kocht“ versammelt junge und experimentierfreudige Köche Berlins, viele von ihnen ehemalige Sous-Chefs von Sterne-Restaurants, die jetzt ihr eigenes Ding machen. Das drückt sich auch in denjenigen Fotos des Bandes aus, die nicht das Essen, sondern die Menschen dahinter in den Vordergrund stellen: Kolja Kleeberg, wie er mit Gitarre auf den Stufen zum U-Bahn-Eingang Französische Straße sitzt. Sigi Danler auf einem Sockel unter der Decke seines Pauly Saals. Auf dem Cover Stefan Hartmann in der Pose eines geköpften Huhns vor einer vollgekritzelten Kellerwand.

„Wir zeigen Berliner Köche, die die Haute Cuisine in die Breite tragen“, sagt Bolk. Das sei eine relativ neue Bewegung. Dafür stehen zum Beispiel Markus Herbicht vom Restaurant Ø am Mehringdamm, Tim Raue mit seinem Restaurant in der Rudi-Dutschke-Straße gegenüber der taz oder Andreas Saul mit seinem Bandol sur mer“ in der Torstraße. So lässt sich die Berliner Küche längst nicht mehr auf schlicht, rustikal und deftig reduzieren. „Sie ist heute unglaublich heterogen, vielschichtig“, sagt Bolk. „Und es kommt ständig was Neues hinzu. Das ist schon sehr spezifisch für Berlin.“ Er sehe einen großen Mut zum Neustart, sowohl von hervorragend ausgebildeten Köchen als auch von hervorragend kochenden Menschen ohne klassische Gastroausbildung. Die Sammlung zeigt auch, worauf viele der vorgestellten Berliner Köche besonderen Wert legen: auf regionale Produkte und eine enge Zusammenarbeit mit kleinen Produzenten wie Bauern aus Brandenburg. Sie changieren zwischen Landgasthof und Nobelrestaurant. So empfiehlt etwa Wolfgang Müller „Ruppiner Lammrücken ‚Smoking Spices‘ auf geschmorten Rübchen“ oder Markus Herbicht „Beelitzer Landgockel mit Zitrone und Uckermärker Papiotte-Gemüse“. Doch auch Urberliner Küche kommt nicht zu kurz: mit der „Berliner Currywurst ‚De Luxe‘“ und fünf verschiedenen Soßen.

Dass sich die Berliner Kochszene gerade so spannend entwickelt, hängt für Bolk unter anderem mit den vielen Zuzügen aus anderen europäischen Städten und auch aus den USA zusammen. Anna Lai und Tobias Bürger haben zum Beispiel das „Smoked Barbecue“ auf einem langen Ritt durch sämtliche Instanzen aus Tennessee in die Kreuzberger Markthalle IX gebracht. Ein Mitbringsel aus den USA sind auch die sogenannten Pop-up-Restaurants, die zu Prohibitionszeiten aus der Not heraus als illegale Diner mit Alkoholausschank geboren wurden und heute Gastfreundschaft mit Klubexklusivität verbinden. Etwa der „Neuköllner Speiseklub“ der Schwestern Cathrin und Elena Brandes. Pop-up-Restaurants öffnen nur an bestimmten Tagen, an verschiedenen Orten oder laden unregelmäßig verschiedene Küchenchefs ein, veranstalten Picknicks, kehren auf einem Bauernhof oder in einer Privatwohnung ein. Einlass nur mit Mitgliedskarte.

33 Restaurants, aber auch Cafés, Wein- und andere Bars, außerdem Kaffeeröster und Baristas vereint „Die Stadt kocht“, unterteilt in Kapitel wie „Der Kiez kocht“, „Hot & Urban“, „Berlin Classics“ oder „Sweet dreams“. Ergänzt wird das Ganze durch „Foodies & Tools“: Genusshandwerk von Porzellan und Gourmetgläsern über Schokolade bis zu Kräutern. Zwei Rezepte hat jeder Kochprofi beigesteuert, eingeleitet von Kurzporträts, die etwas über ihre kulinarische Herkunft verraten und darüber, was ihnen beim Kochen wichtig ist.

Er und die Journalistin Eva-Maria Hilker hätten das Buch ohne Probleme dreimal so dick machen können, sagt Bolk und deutet an, dass sie bald nachlegen wollen. Das Buch sei zugleich Kochbuch und Reiseführer. So kommt auch eine Handvoll mehr oder weniger bekannter Berliner wie die Moderatorin Dunja Hayali, der Schauspieler Michael Schenk, der Filmemacher Pepe Danquart oder der Vibrafonist David Friedmann zu Wort, die von ihren Lieblingsrestaurants und ihren kulinarischen Vorlieben erzählen. Das Buch macht Lust aufs Ausprobieren: das Nachkochen und die Restaurants.

■ Florian Bolk, Eva-Maria Hilker: „Die Stadt kocht – Das Berlin-Kochbuch“. Verlag Le Schicken, 194 Seiten, 19,50 Euro. www.diestadtkocht.de