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Archiv-Artikel

Verblassende Bilder von Beirut

ELEKTRO-AUTORENPOP Yasmine Hamdan ist eine Ikone des libanesischen Undergrounds. Auf Ihrem Solodebüt „Ya Nass“ sortiert sie das musikalische Erbe ihrer Region neu

VON ZONYA DENGI

Auf der Straße in Berlin dreht sich niemand nach ihr um. Das könnte sich ändern, denn sie spielt im nächsten Film von Jim Jarmush mit. In mehreren arabischen Ländern ist Yasmine Hamdan aber schon jetzt eine Größe, zumindest in studentischen und intellektuellen Kreisen. Als Gesicht und Stimme der Band Soapkills, einem progressiven Indie-Elektro-Duo aus Beirut, stieg sie zwischen 1997 und 2005 zum Aushängeschild der alternativen Musikszene des Libanon auf.

Aufgewachsen in Kuwait, wohin ihre Familie vor dem libanesischen Bürgerkrieg geflohen war, kehrte Yasmine Hamdan 1991 mit ihren Eltern und Geschwistern ins stark zerstörte Beirut zurück und tauchte als Jugendliche in die aufkeimende Underground-Kulturszene der Stadt ein. „Beirut war im Umbruch, und wir waren ein Teil dieser Veränderung“, sagt sie rückblickend über ihre Zeit mit Soapkills – der Name der Band war ein sarkastischer Kommentar zu der Art und Weise, wie die blutige Vergangenheit im Libanon nach dem Krieg einfach abgewaschen und verdrängt wurde.

Bald drang der Ruf des Duos auch über den Libanon hinaus. Yasmine Hamdan gerät noch heute ins Schwärmen, wenn sie an sagenhafte Auftritte vor dem König von Jordanien oder in einem Garten in Syrien denkt: „Am Ende standen dreißig Leute auf der Bühne: Die einen tanzten traditionelle Dabke-Schritte, andere machten HipHop-Bewegungen, dazwischen kleine Mädchen, es war fantastisch.“

Mit dem wachsenden Ruhm kamen die Verlockungen: „Ich bekam verrückte Angebote. Ägyptische Musikmanager kamen wie in einem schlechten Mafiafilm auf mich zu und fragten mich: ‚Willst du einen Scheck über 50.000 Dollar?‘ ‚Willst du einen Mercedes?‘ Es war surreal, aber auch lustig.“ Doch eine Karriere als kommerzielles Popsternchen kam für sie nicht infrage. Stattdessen zog sie vor sieben Jahren nach Paris. Dort lebt die heute 37-Jährige nun mit ihrem Mann, dem palästinensischen Starregisseur Elia Suleiman (53). Die beiden bilden so etwas wie das Traumpaar der arabischen Off-Kulturszene.

Auf ihrem ersten Soloalbum „Ya Nass“ („Oh Leute“) sortiert Yasmine Hamdan jetzt das musikalische Erbe ihrer Region auf überraschende Weise neu. Inspiriert von libanesischen Poeten aus den 40er Jahren, von kuwaitischen Sängerinnen oder ägyptischen Songklassikern, sucht sie einen persönlichen Ausdruck fernab von orientalisierenden Klischees. Auf „Ya Nass“ dominieren vielschichtige Texturen und somnambule Sounds, Bauchtanz-Perkussion und schluchzende Geigen sucht man hingegen vergeblich. Yasmine Hamdan legt Wert darauf, von den Cocteau Twins und Arvo Pärt, aber auch von somalischen und asiatischen Klängen beeinflusst worden zu sein. „Ich muss niemandem beweisen, dass ich eine arabische Sängerin bin“, betont sie. „Meine Wurzeln sind in der arabischen Welt, das ist mein Material. Aber ich kann damit machen, was ich will.“

Wenn sie auf klassische Vorlagen zurückgreift, dann geht es Yasmine Hamdan weniger um Nostalgie, als vielmehr um eine andere, eine private Art der Geschichtsschreibung. „Wir kommen aus einer oralen Kultur. Die Neigung, etwas zu archivieren und zu sammeln, ist uns fremd. Darum gibt es in der arabischen Welt kaum Nationalarchive“, sagt sie. Die Künstler hätten deshalb die Aufgabe, die kollektiven Erinnerungen zu bewahren.

Mit Wehmut denkt Yasmine Hamdan daran, wie das Stadtzentrum von Beirut nach dem Ende des Kriegs in eine sterile Shopping-Mall-Hölle verwandelt wurde. „Vor dem Krieg hatte die Gegend einen besonderen Charakter, dort waren die Suqs, mein Großvater hatte dort einen Laden“, erzählt sie.

Während des Bürgerkriegs verlief die Frontlinie mitten durch Stadt, das Zentrum wurde komplett zerstört. Nach dem Krieg wurden die Ruinen nach und nach abgeräumt, um einer glatten Konsumwelt Platz zu machen. „Jeder trägt hier Gel und teure Klamotten, raucht Wasserpfeife und isst Hummus. Man sieht eine Menge Leute vom Golf, die Urlaub machen. Es ist verrückt, wie die Erinnerung ausgelöscht und durch das Gegenteil ersetzt wurde“, sagt sie. Für den Clip zu ihrem Song „Beirut“ hat sie auf private Super-8-Aufnahmen zurückgegriffen, verblassende Bilder von Beirut, die ein Freund von ihr dort auf einem Flohmarkt erstanden hat. Die Erinnerungsstücke ihrer eigenen Familie sind teilweise verloren gegangen, sie wurden im Krieg verbrannt oder gestohlen. „Das ist Teil unserer Geschichte – dass bestimmte Dinge ausgelöscht und verschwunden sind“, sagt sie. „Als Künstlerin trage ich Fragmente zusammen und stelle so ein Narrativ wieder her.“

Mit dem Schlagwort „Arabischer Frühling“ kann Yasmine Hamdan nur wenig anfangen: „Ich war sehr hoffnungsvoll und bin es noch“, sagt sie über die Entwicklungen in ihrer Region, doch Radikalismus und Gewalt machen ihr Angst. Sie fürchtet, der Bürgerkrieg in Syrien könnte auf ihre Heimat übergreifen: „Der Libanon ist ein sehr seltsamer Ort. Man hat immer das Gefühl, es liegt eine gewisse Spannung und Nervosität in der Luft, als könne jederzeit an jedem Ort irgendetwas hochgehen.“

■ Yasmine Hamdan: „Ya Nass“ (Crammed Discs)