Die Strippenzieherin

AFRO FOLK Malis Star-Songwriterin Rokia Traoré geht ihren eigenen Weg. Auf „Beautiful Afrika“ zeigt ihr Kompass Richtung Indie und Alternative-Rock

VON STEFAN FRANZEN

Sie ist nie den einfachen Weg gegangen. Als Diplomatentochter rebellierte Rokia Traoré einst gegen eine vorgezeichnete Karriere in Brüssel. Als Musikerin experimentierte sie mit unerhörten Akustiksounds und zog damit den Zorn der Puristen auf sich. Sie arbeitete mit dem Kronos Quartet wie mit Popstars, mit Beatboxern genauso wie mit Griots. Das neue Wagnis: Auf „Beautiful Africa“ gibt sich Rokia Traoré nun ungewohnt rockig – und trotzdem auch melancholisch.

Für die Produktion des Albums sicherte sie sich die Dienste von John Parish, der unter anderem für seine Arbeit mit PJ Harvey bekannt geworden ist. „Ich wollte mit jemandem arbeiten, der das Gefühl für Rock einbringen konnte“, sagt Rokia Traoré. „John ist keiner, der alles poliert. Er lässt auch kleine Unreinheiten drin, und damit unterstreicht er die menschliche Seite und den natürlichen Groove.“

Angekündigt hatte sich Rokia Traorés Neuorientierung in Richtung Rock schon auf dem Album „Tchamantché“, auf dem sie mit Gretsch- und Silvertone-Gitarren experimentierte. Auf „Beautiful Africa“ geht sie einen Schritt weiter. Es kracht ordentlich, die Kompassnadel ist auf Indie und Alternative ausgerichtet.

Wenn Rokia über die Produktion ihres neuen Werks spricht, legt sie viel Selbstbewusstsein an den Tag. Vorbei die Zeiten, in denen westliche Pultmeister paternalistisch in die Musik ihrer afrikanischen Schützlinge hineinpolterten. Rokia Traoré selbst hält die Fäden in der Hand. „Es ist von Vorteil, dass sich die europäischen Musiker in meiner Band gar nicht mit afrikanischen Klängen auskennen, das würde nur für Redundanz sorgen. Denn wenn ich ins Studio gehe, habe ich ja alle Arrangements schon im Kopf“, stellt sie klar. Der Sound ist stripped down und trocken, er bietet so zugleich viel Platz für intime, stille Sahel-Momente. Die kreisenden Grooves der E-Gitarre verpartnern sich mit der Spießlaute Ngoni, feingliedrige traditionelle Percussion und zarte Backgroundchöre mischen malische Farben mit hinein. Und Rokia Traorés Markenzeichen, ihre geradezu philosophischen Verse auf Bambara, gehören selbstredend auch zum Inventar.

„Ich schreibe meine Texte in einer sehr aufrichtigen Art. In meiner Dichtung möchte ich ein Gleichgewicht herstellen zwischen meiner eigenen Wahrheit und der der anderen. Denn die eine Wahrheit gibt es nicht“, sagt sie. Im Stück „Kouma“ bezeichnet sie Sprache als „Mille-Feuille“, als Blätterteig, mit der man verschiedene Schichten der Bedeutung offenlegen, aber auch wieder zurückziehen kann. Als Tochter eines Diplomaten, die mit ihrer Familie öfters den Wohnort wechselte, hat sie gelernt, das Alleinsein nicht als Nachteil zu sehen. „Schon im Kindesalter wurde das Schreiben von kurzen Texten meine Zuflucht. Deshalb ist die Melancholie für mich auch kein trauriger Zustand: Ich brauche sie regelrecht als Inspiration“, sagt sie.

Ihrem bevorzugten Seelenzustand hat sie ein Lied auf Französisch gewidmet, im dazugehörigen Clip tanzt sie selbstvergessen. Und aus der Zurückgezogenheit ist auch der reizendste Titel des Albums entstanden: In „Tuit Tuit“ begibt sich Rokia Traoré in direkten Kontakt mit der Natur. Zu einem leichtfüßigen E-Gitarren-Groove duettiert sie mit den Vögeln, die sie jeden Morgen im Garten ihres kleinen Hauses in Bamako aufwecken, wenn sie gerade dort ist.

Gar nicht mehr besinnlich klingt es dann aber im Titelstück des Albums, in dem sie ihr „Afrique je t’aime“ so trotzig herausschreit, als wollte sie gegen den Konflikt in Mali und die anderen Brandherde des Kontinents anbrüllen. Im Gespräch fordert sie, die Politiker in Bamako müssten sich jetzt anstrengen, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Erst der Schlendrian der korrupten Vorgängerregierung sei es gewesen, der den Vormarsch der Islamisten begünstigt habe – zusammen mit einem französischen Präsidenten Sarkozy, der all die Warnungen afrikanischer Staatschefs in den Wind schlug, welche Folgen ein Sturz von Libyens Diktator Gaddafi für die Region haben würde. Doch Sarkozy habe sich nur für ökonomische Belange interessiert, meint sie.

Für Rokia Traoré war es deshalb nur recht und billig, dass Frankreich unter der neuen Führung von François Hollande mit militärischer Hilfe die Scharte auswetzte. „Ich habe wie viele meiner Landsleute eine klare Vorstellung von Mali“, schließt sie ihre politischen Betrachtungen mit einer Portion Nationalstolz. „Auch wenn wir einen der niedrigsten Lebensstandards der Welt haben, verfügen wir über einen hohen Level an Intellektualität. Wir haben großartige Filmemacher, kluge Minister, die eine Menge für ganz Afrika auf den Weg gebracht haben, und ich halte Amadou Hampate Bâ für einen der größten Schriftsteller der Welt. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir aus dieser momentanen Klemme wieder herauskommen.“ Oder, wie sie es im Text zum Titelstück formuliert hat: „In meinen afro-progressiven Venen brennt Bambara-Blut, aufgeladen mit Hoffnung.“

■ Rokia Traoré: Beautiful Africa (Outhere Records)