: Jobkiller Ussama
Bin Laden is back: Der große alte Mann des Terrors verschlankt die al-Qaida
Afghanistan gleicht auch heute noch, Jahre nach der Niederwerfung der Taliban, einem Schnellkochtopf ohne Sicherheitsventil. Raketenanschläge auf das Feldlager der Bundeswehr in Kundus, Al-Qaida-Selbstmordattentäter an jeder Ecke, tausende von Landminen, die nur darauf warten, dass ein ahnungsloser Wanderer auf sie tritt.
Dazu noch die enorme Arbeitslosigkeit. Die meisten Afghanen können von einem Job nur träumen. Und nun schockt die nächste Horrormeldung das krisengeschüttelte Land: In Windeseile verbreitet sich in Kandahar das Gerücht, Ussama Bin Laden wolle das örtliche Ausbildungslager der al-Qaida schließen. Eine Stadt in Aufruhr – die aufgebrachte Menge zieht vor das schwer bewachte Tor des Lagers und protestiert gegen die menschenverachtende Maßnahme, die die meisten hier um ihr spärliches Einkommen bringen würde. Die Stadt hängt am Tropf von al-Qaida.
„Bin Laden – Totengräber von Kandahar“, skandieren die empörten Einwohner und schwenken ihre Transparente mit Aufschriften wie „Beim Barte des Propheten – stationiert doch endlich weitere Raketen!“. Ihre Verzweiflung, ihre ohnmächtige Wut teilen sie mit tausenden von Afghanis in anderen Teilen des Landes, aber all das wird nichts an den Sparplänen des allmächtigen Chefs des Terror-Netzwerks ändern.
Es sind die Bremsspuren der Weltwirtschaft, die auch am Terror-Business nicht spurlos vorübergehen. Ussama Bin Laden muss den Sprengstoffgürtel enger schnallen und deshalb will er die al-Qaida um rund 3.500 auf 25.000 Kämpfer verkleinern. Viele Standorte werden deshalb geschlossen. Dazu gehört auch die 7. Minenlegereinheit in Kandahar mit 800 Gotteskriegern und 250 Zivilbeschäftigten. Kandahar ist von den geplanten Einschnitten überdurchschnittlich stark betroffen. Aber auch das Attentäter-Trainingslager in Tora Bora wird aufgelöst. Noch am Montagabend demonstrierten 2.000 Einwohner für den Erhalt der Einrichtung. Bürgermeister Ahmet Omar bringt die Stimmung der Einwohner auf den Punkt: „Ohne das Al-Qaida-Ausbildungslager können wir hier dichtmachen. Wenn al-Qaida niest, hat die ganze Region Schnupfen. 95 Prozent der Arbeitsplätze hängen an dem Standort. Und an die Einbußen im Einzelhandel möchte ich noch gar nicht denken. Wir sind sehr, sehr wütend!“ Damit nicht genug: 28 weitere Lager mit mehr als 500 Kämpfern sollen geschlossen werden, hieß es aus der Umgebung der obersten Kommandoebene. Zudem stehen die angesehenen Al-Qaida-Terror-Akademien in Herat und Kundus sowie fünf Truppenübungsplätze vor dem Aus.
Auf Befragen räumt Bin Laden unumwunden ein, dass es massive Einschnitte gebe. „Da wird es sicherlich nicht ohne menschliche Härte abgehen“, meint er müde lächelnd. Der im privaten Gespräch charmante Terrorchef stellt aber zugleich klar, dass es schon Verhandlungen mit den Provinzverwaltern über die anstehenden Schritte gegeben habe. „Niemand, der betroffen ist, wird davon aus der Zeitung erfahren.“ Seinen hintergründigen Humor hat der Al-Quaida-Führer jedenfalls noch nicht verloren. Den wird er in Zukunft auch gebrauchen können, stehen ihm doch harte Zeiten ins Zelt. Zuletzt hatte ihn der Gouverneur der Khaiber-Region eindringlich davor gewarnt, das Land vor vollendete Tatsachen zu stellen und al-Qaida kaputtzusparen. Bin Laden warb deshalb um Verständnis: „Für die betroffenen Gemeinden ist es immer hart, wenn die al-Qaida geht. Ich erwarte daher auch keine Jubelstürme. Aber da muss ich durch.“
Kritik an Bin Ladens Plänen kam auch von der Opposition im neu gewählten afghanischen Parlament. Der wehrpolitische Sprecher der Islamdemokratischen Partei Afghanistans (IPA), Siar Malouf, sagte, er habe den Verdacht, dass es sich bei den Plänen nicht um wünschenswerte konzeptionelle Veränderungen handele, sondern um einen „Sparwahn“ des Terrorpaten. Für strukturschwache Regionen wie Dschalalabad und Kundus müsse es Ausgleichsmaßnahmen geben, auch wenn die Kassenlage schlecht sei, verlangte der IPA-Politiker. Bin Laden betätige sich als „Sensenmann“ der al-Qaida und Afghanistan sei imperialistischen Bedrohungen inzwischen weitgehend schutzlos ausgeliefert. In einer scharfen Replik wies der Al-Qaida-Sprecher Hamed Fibal während der parlamentarischen Fragestunde darauf hin, dass der Abbau überwiegend über Altersteilzeit und Frühpensionierungen der Gotteskrieger erfolgen werde.
Die einzige Hoffnung der Afghanen ruht deshalb auf der Bundeswehr. Die Deutschen, so die Überlegung, könnten in die aufgegebenen Standorte der al-Qaida einziehen und ihren bislang schon erfolgreichen Einsatz auf eine noch breitere Basis stellen. Vor allem im Bereich Kampfmittelerkundung und -räumung hat die Truppe ja erheblichen Nachholbedarf. Neben Minenspürpanzern könnte die Bundeswehr deshalb jetzt verstärkt arbeitslose Al-Qaida-Kämpfer einsetzen, die den gefährlichen Job mit hoher Einsatzbereitschaft erledigen würden. Und schließlich wissen sie ja auch am besten, wo die Minen verbuddelt sind.
RÜDIGER KIND