: Stillleben vom Körper als Waffe
Hippen empfiehlt „Hunger“ von dem englischen Turner-Preisträger Steve McQueen über den Hungerstreik der IRA in den 80er Jahren ist zugleich Kunstwerk und politisches Werk
Von Wilfried Hippen
In der Ikonografie der deutschen Linken gibt es kaum ein wirkungsvolleres Bild als jenes des ausgezehrten Leichnams von Holger Meins. Wenn man nun bedenkt, dass die IRA in Irland einen ungleich größeren Rückhalt in der Bevölkerung hatte und hat als die RAF bei uns, bekommt man einen ungefähren Eindruck davon, welchen Status Bobby Sands dort als einer der Märtyrer des Kampfes um die Freiheit von Nordirland innehat. 1981 war er der Initiator eines Hungerstreiks von IRA-Häftlingen im Belfaster Gefängnis The Maze, die um ihren Status als politische Häftlinge kämpften. Er starb als der erste von zehn und scheint der ideale Protagonist für eine filmische Heiligenlegende zu sein.
Doch genau dran war Steve McQueen überhaupt nicht interessiert. Der englische Videokünstler und Turner-Preisträger hat in seinem ersten Spielfilm die üblichen dramaturgischen und ideologischen Konventionen vermieden. So gibt es keinen Protagonisten, dessen Entwicklung der Film nachzeichnen würde. Stattdessen beginnt „Hunger“ mit den blutigen Fingerknöcheln eines Mannes, der im Waschbecken versucht, sie reinzuwaschen. Die Kamera folgt ihm mit einem genauen Blick auf die Details seines alltäglichen Morgens, und erst als er vor der Abfahrt genau sein Auto untersucht, sich sogar auf den Boden hockt, um unter den Boden des Fahrzeugs zu schauen, wird klar, dass er einer der Wärter des Gefängnisses ist. McQueen gibt kaum Informationen (zwei Ansprachen von Margaret Thatcher im Radio sind eher wegen ihres Tons erhellend), stattdessen erzählt er diese Geschichte in Bildern von Körpern. Im Gefängnis wechselt die Perspektive vom Wärter zu zwei der Gefangenen, die sich in einer Protestaktion weigern, Gefängniskleidung zu tragen und nackt ihre Zellen mit Exkremente beschmieren, sowie ihren Urin in die Zellengänge fließen lassen. Steve McQueen sieht hier den Kot, Maden auf den modernden Essensresten und die beschmutzten Körper der Männer mit dem Blick eines Künstlers. Seine Bilder sind makellos komponiert und auf eine irritierende Art sogar schön. Eine Spirale aus Scheiße an der Wand wirkt zugleich ekelerregend und poetisch und die Prügelorgien in den Beton-Korridoren werden mit der gleichen inspirierten Sorgfalt aufgenommen wie eine Schneeflocke, die auf die Hand eines Wärters fällt.
Wenn der Zuschauer dann glaubt, die Methode des Künstlers durchschaut zu haben, wechselt dieser radikal den Stil, indem er eine 17 Minuten lange, ungeschnittene Einstellung in der Halbtotalen zeigt, in der zum ersten Mal Michael Fassbender als Bobby Sands gezeigt wird, der ein Gespräch mit einem katholischen Geistlichen führt, in dem das Für und Wider eines Hungerstreiks diskutiert wird.
Das Paradoxe daran ist, dass dieses lange und intensive Gespräch nicht lang wirkt gerade weil bei ihm auf all die filmischen Tricks wie Gegenschüsse oder Zooms zu Nahaufnahmen verzichtet wird. McQueen macht hier alles andere als Kunst um der Kunst willen, und man bekommt nie den Eindruck, er würde seinen radikalen Formwillen ausstellen.
Im letzten Teil wird dann mit klinischer Genauigkeit der Effekt dargestellt, den die absolute Verweigerung von Nahrung auf den menschlichen Körper hat. Der Darsteller Michael Fassbender hat dazu extrem abgenommen (in den Schlusstiteln werden Arzt und Krankenschwester genannt), aber wieder stellt McQueen nichts aus, wie dies etwa mit dem ähnlich extrem abgemagerten Christian Bale in „The Machinist“ geschah. Hier wird dagegen einfach gezeigt, wie Menschen ihre Körper als die letzte ihnen zur Verfügung stehende Waffe einsetzten.