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Archiv-Artikel

Stepptanz im Dessauer Bauhaus

ALLEINSTELLUNGSMERKMAL „Einen Ort herstellen“ – die erste Ausstellung des Neuen Sächsischen Kunstvereins verfehlt ihr Thema. Denn der neue Standort der Dresdner Kunstinstitution in Hellerau, Deutschlands erster Gartenstadt, wird überhaupt nicht mitbedacht

Von all diesem historischen Palimpsest ist in Koralovas Ausstellung allerdings wenig zu sehen

VON RONALD BERG

Nun ist auch der neue Sächsische Kunstverein dem Lockruf eines Mythos gefolgt. Ab sofort präsentiert sich der bis auf Goethe zurückreichende Verein in Hellerau, Deutschlands erster Gartenstadt im Norden von Dresden. Der nach der Wende neugegründete Verein war bislang in der Dresdner Innenstadt beheimatet. Für die erste Ausstellung im Hellerauer Festspielhaus „ hat die junge Gastkuratorin Ilina Koralova von der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig eine 15-köpfige Künstlerschar aufgeboten. Titel der Schau „Einen Ort herstellen“. Es gehe um „Gedächtniskultur und Erinnerungspolitik“. Orte wären nämlich „in ihrer Bedeutung nicht einfach gegeben“, so Ilina Koralova, sondern sie würden „von verschiedenen Gruppen und ihren jeweiligen Interessenlagen ‚produziert‘ “.

Tatsächlich war der Ausgangspunkt für die Gründung von Hellerau im Jahr 1909 die Übersiedlung einer Möbelfabrik, der Deutschen Werkstätten, in die bewaldeten Hänge bei Dresden. Dem Anspruch nach war Hellerau aber weit mehr als eine bloße Siedlung für die Arbeiter der Fabrik in genossenschaftlicher Organisation. Hellerau sollte das praktizierte Modell einer umfassenden Lebensreform werden. Emile Jacques-Dalcrozes „Bildungsinstitut“ für rhythmische Gymnastik fungierte bis zum Ersten Weltkrieg als avantgardistische Spitze bei den Bemühungen zur Überwindung der verdorbenen Wohn-, Arbeits- und Lebensverhältnisse durch Rhythmisierung des gesamten Lebens. Hellerau zog innovative Tänzer, moderne Künstler und suchende Intellektuelle in Scharen an. Le Corbusier sah hier 1912 „die günstigsten Voraussetzungen dafür, dass Geniales entsteht, dass die Künstler in die Nähe von Gesamtkunstwerken vorstoßen“.

Erstes Summerhill

Das 1912 von Architekt Heinrich Tessenow im sachlichen Klassizismus fertiggestellte Festspielhaus hat also viel erlebt. Nachdem der Erste Weltkrieg den Schweizer Dalcroze vertrieben hatte, gründete 1921 der Reformpädagoge Alexander Neill hier seine erste Schule, bleib dann allerdings nur für zwei Jahre. Nach der Machtergreifung der Nazis fungierte der Ort als Polizeischule, nach 1945 richteten die Sowjets eine Kaserne ein. Bis zum Abzug der Roten Armee lag das einstige, spirituelle Zentrum Helleraus hinter Mauern in einer verbotenen Zone.

Doch nach Abzug der Russen war die „Magie“ des Ortes offenbar noch lebendig. Erste Initiativen begannen mit der „kulturellen Wiederbelebung“ des maroden Festspielhauses. 1994 startete die immer noch andauernde Renovierung. 2002 zog das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik auf das Festspielhausgelände, 2004 wandelte es sich zum Europäischen Zentrum der Künste Hellerau. Von all diesem historischen Palimpsest ist in Koralovas Ausstellung allerdings wenig zu sehen. Die von der Bulgarin ausgewählten, meist jungen Künstler konzentrieren sich stattdessen vornehmlich auf diverse Beispiele zur Bewältigung der (post-)kommunistischen Ära in Osteuropa. Für das Alleinstellungsmerkmal Helleraus als Ort eines lebensreformerischen Experiments interessieren sie sich nicht sonderlich – und das ausgerechnet zum 100. Jahrestag des Erstbezugs der Siedlung und Gründung des Dalcroze’schen Bildungsinstituts.

Anknüpfungspunkt für den US-Künstler Sean Snyder ist etwa ein nach der inneren Renovierung des Festspielhauses erhaltenes Propagandabild vom Kampf der Roten Armee von Moskau bis Berlin, das ebenso gut in einer x-beliebigen Russenkaserne zu finden wäre. Unter dem Bild der Sowjethelden nimmt Snyder die kommunistische Bildpropaganda aufs Korn, wenn er die retuschierten Augenbrauen oder die erhöhten Schuhabsätze der Partei- und Politführer in seinen schwarzweißen Fotos en detail vorführt.

Dem Leben und Leiden im ehemaligen Ostblock widmen sich auch die meisten anderen Arbeiten der Ausstellung. Der Bezug auf Hellerau ist dabei nicht immer ersichtlich. Im Grunde haben sich nur ein, zwei Künstler mit Hellerau wirklich beschäftigt. So der Belgier Adrien Tirtiaux. Er erinnert mit seinem passierbaren Durchbruch in der Randbebauung am Platz vor dem Festspielhaus daran, dass hier bis zur Nazizeit eine Straße einmündete. Das Festspielhaus war also ursprünglich nicht nur in ideeller, sondern auch in räumlicher Hinsicht sehr viel stärker in die Gemeinde eingebunden als heute.

Auch Martin Dammanns Großfoto einer Mädchenriege im Turndress überblendet geschickt die Hellerauer Verhältnisse mit ihren Folgen. Die Hakenkreuze auf der Brust der sportiven Mädels lassen bei näherer Betrachtung des historischen Fotos an der Epoche zwar keinen Zweifel, aber die Szene vor einem ländlichen „Gut“, so der Titel, referiert im gegebenen Kontext genauso an die historisch frühere Freiluftgymnastik der Lebensreformer wie an die spätere Praktiken in kommunistischen Jugendverbänden.

Auch die zweite Arbeit im Außenraum lässt sich mit viel gutem Willen noch mit Gartenstadt und Wohnreform in Verbindung bringen. Die Bulgarin Daniela Kostova hat eine kleine Holzhütte gebaut. Ihre unfertig wirkende Fassade bildet in ihrer Nacktheit das Gegenbild zu der im Inneren mittels Videostills erzählten Geschichte: Das alte Haus der Großmutter in Sofia wird dort nämlich mit rosa Vinylplatten dem Geschmack der neuesten Lebensart angepasst. Doch die Adaption des vermeintlich westlichen Lebensstils gerät ins Kitschige. Und plötzlich relativiert sich auch die Tristesse der früheren Ostzeiten.

Die Ironie der Losung

So kann der Leipziger Oliver Kossack (Jahrgang 1967) der uniformen Erscheinung der DDR-Plattenbauten durchaus wieder etwas abgewinnen, wenn er deren Rasterfassaden mit einfachsten Materialien aus dem Baumarkt nachempfindet. Ein Metallregal, verblendet mit durchscheinenden Plastikwänden, bildet den Baukörper, auf dem mit Paketklebeband eine Rasterfassade gezaubert wird. Die innere Beleuchtung lässt die tristen Ostzeiten in (n)ostlagisch-mildem Schimmer leuchten. Dazu passen die Neonbuchstaben mit der Losung von Via Lewandowsky an der Wand gleich nebenan: „Der Sozialismus siegt“. Die Ironie der Losung hätte vor der Renovierung des total heruntergekommenen Festspielhauses sicherlich ätzender gewirkt. Lewandowskys kann man für die Platzierung der Leuchtschrift, dessen Vorbild einst auf einem Dresdner Hochhaus prangte, allerdings nicht verantwortlich machen. Die Arbeit ist eine Leihgabe aus Museumsbesitz, und Lewandowsky wurde zur Verwendung seines Werkes nicht eigens gefragt.

Die weiblichen Teilnehmer der Ausstellung zeigen einen stärker persönlichen Ansatz beim eigentlichen Hauptthema der Schau: der Bewältigung des Wandel von Ost- zu Westzeiten und der Auseinandersetzung mit den Relikten dieser Geschichte. Isa Rosenbergers Video verknüpft persönliche Erinnerung von Großmutter, Tochter und Enkelin mit Archivbildern einer modernistischen Brücke von 1972 in Bratislava, die Kroatin Kristina Leko präsentiert auf riesigen Wandtafeln zwei in Schulschrift wiedergegebene Kurzbiografien „von einfachen, hart arbeitenden Menschen“. Mit Marion Portens Video kommt dann noch einmal ein entfernter Bezug zu Hellerau-verwandten Themen auf. Eine Stepptänzerin erkundet das Dessauer Bauhausgebäude, dessen Räumlichkeiten und Materialität sie mit Händen und Füßen erspürt.

Einen ähnlich zudringlichen Zugang hätte man sich auch für Hellerau und sein Festspielhaus gewünscht. Der Ort, der sich mit dieser Ausstellung herstellt, hat mit Hellerau wenig zu tun. Und die Entscheidung des Sächsischen Kunstvereins für Hellerau bleibt um so mehr im Mythischen. Thema verschenkt!

■ Bis 24. März. Festspielhaus Dresden-Hellerau, www.saechsischer-kunstverein.de, www.hellerau.org