: Juristisches Chaos um den Saddam-Prozess
Das Verfahren gegen den irakischen Exdiktator wird heute zunächst mit einem neuen Vorsitzenden fortgesetzt
SULEIMANIA taz ■ Wer wird künftig den Prozess gegen den ehemaligen irakischen Diktator Saddam Hussein und sieben weitere Angeklagte leiten? Am Vorabend der Wiederaufnahme des ersten Prozesses gegen die Schergen des früheren Regimes überschlugen sich gestern im Irak die Gerüchte. Nach Angaben von Raid Dschuhi, Ermittlungsrichter und Sprecher des Sondertribunals, wird heute Rauf Raschid Abdul Rahman den Vorsitz übernehmen und damit die Nachfolge von Risgar Mohammed Amin antreten. Amin hatte angekündigt, sein Amt niederzulegen. Wie Amin ist Abdul Rahman ein Kurde und stammt ebenfalls aus Suleimania, wo er lange Jahr als Richter am Strafgerichtshof tätig war. Vor etwa eineinhalb Jahren wurde er in das Sondertribunal berufen und dort Mitglied des Richterkollegiums des Berufungsgerichts.
Nach Angaben von Dschuhi wurde auch Amins Stellvertreter, Saed al-Hammasch, ersetzt. Dieser sprach von einer Verschwörung und machte Anhänger der Baath-Partei und Saddam Hussein für seine Versetzung verantwortlich. Vergangene Woche war ihm vorgeworfen worden, früher selbst Mitglied der Baath-Partei gewesen zu sein.
Ob Abdul Rahman über den heutigen Tag hinaus den Prozess leiten wird, ist aber ungewiss. Gestern war nicht einmal klar, ob Amin nun definitiv sein Amt niederlegt hat. „Sie werden es sehen“, sagte er in einem Gespräch mit der taz. Während Amin für seine ruhige Prozessführung international große Beachtung erfuhr, musste er im Irak viel Häme einstecken. Der Einzige, der bisher von der Demokratie im Irak profitiert habe, sei Saddam, höhnte der Journalist Ismail Sajer in seiner Zeitung Sabah Dschiddida. Vor allem Schiiten warfen dem Juristen eine zu laxe Haltung gegenüber Saddam Hussein und den sieben Mitangeklagten vor. Im südirakischen Basra demonstrierten Anhänger des radikalen schiitischen Predigers Muktada al-Sadr gegen Amin und forderten, ihn selbst vor Gericht zu stellen. Dabei ereiferten sich viele sogar darüber, dass der Richter den ehemaligen Despoten zum Prozessauftakt mit „Herr Saddam“ ansprach. Aus dem Umfeld des einflussreichen Politikers wurde das Gerücht gestreut, Amin sei Mitglied der Baath-Partei gewesen.
Selbst in Kurdistan musste sich Amin üble Nachreden gefallen lassen. „Sein Rücktritt ist die beste Entscheidung, die er treffen konnte“, sagte Lokman Mohammed, als der arabische Satellitensender al-Arabia am Montagnachmittag meldet, Amin habe die Prozessführung definitiv aus der Hand gegeben. Laut kurdischen Medien will Amin an seinem Entschluss festhalten.
Gegenüber der taz wollte der Richter dies freilich so deutlich nicht bestätigten. Aus dem Umfeld des Tribunals heißt es hingegen, die Gespräche mit Amin dauerten noch an. In einem Interview mit der taz hatte der freundliche Richter deutlich gemacht, dass ihm an der Durchsetzung von internationalen Rechtsstandards in diesem Prozess liegt. Dafür haben viele Iraker freilich wenig Verständnis. Verständlicherweise steht die Schuld des Despoten und seiner Schergen angesichts der schier zahllosen Verbrechen für viele von vornherein fest. Für sie war es oft unerträglich, wie Saddam und sein Halbbruder Barsan nicht nur den Richter, sondern auch die Opfer in den ersten Verhandlungstagen mit ihren Auftritten verhöhnten.
Viele wünschen sich deshalb ein zügiges Verfahren mit einem Schuldspruch und der Todesstrafe. Für einen Schauprozess ist Amin jedoch nicht zu haben. Nach internationalen Standards wäre der Prozess mit seinem Rücktritt gescheitert und müsste neu aufgerollt werden. Für diese Feinheiten der Justiz hat man im Irak aber wenig Sinn. INGA ROGG