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Archiv-Artikel

Der ganze Irrsinn Oper

Alles bleibt irgendwie in der Schwebe bei der wilden Story um Jupiters Boshaftigkeit. Andreas Baesler inszeniert am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier Jean-Philippe Rameaus „Platée“ von 1745

AUS GELSENKIRCHENREGINE MÜLLER

Die Uraufführung anno 1745 soll nur ein mäßiger Erfolg gewesen sein, denn man empfand das Sujet als unpassend: die Titelheldin von Jean-Philippe Rameaus skurrilem ‚Ballet bouffon‘ „Platée“ ist eine hässliche, krötenartige Sumpfnymphe. Und das, obwohl der Anlass der Uraufführung in Versailles die Hochzeit Ludwig XV. mit der spanischen Infantin war, die nicht eben eine Schönheit gewesen sein soll. Rameaus böser Humor muss eine gefährliche Provokation gewesen sein.

Selbst ohne die spanische Infantin verblüffen noch heute die freche Vielschichtigkeit und die sarkastische Schwärze von Rameaus spätbarockem Spiel mit dem Spiel. Ganz unverhohlen denkt Rameau laut über Musiktheater, Ballett, barocke Gefühlsrhetorik, alberne Hupfdohlen, eitle Sänger, sinnfreie Koloratur-Schnörkel, kokette Spitzentöne, kurzum: über den ganzen Irrsinn der Gattung Oper nach. Und er schöpft dabei aus dem Vollen, reiht glanzvolle Bravournummern an schmissige Tänze, fährt üppige Chöre auf, entlockt dem Orchester reiche Farben und zeigt sich als Meister der Überraschung. Trotz sinnlicher Fülle bleibt das Werk jedoch stets in der Schwebe, alles scheint einen doppelten Boden zu haben, die Komik hat ihre Nachtseite, die Liebe etwas Lächerliches, der Tanz etwas Ungelenkes. So ist „Platée“ nur auf den ersten Blick eine leichte Beute für den Regisseur, in Wahrheit ist sie ein heikler Balanceakt.

In Gelsenkirchen kann Andreas Baesler jedoch nicht widerstehen, dem Affen kräftig Zucker zu geben. Dabei beginnt der Abend spröde. Auf der Bühne ist das Foyer mit den berühmten Ives-Klein-Reliefs aufgebaut. Samuel Bächli setzt sich bescheiden ans verstimmte Klavier, der Chor spielt das Premierenpublikum, der Jungregisseur, kostümiert als eine Art Bonsai-Rainer-Werner-Fassbinder, randaliert und wirft eine Flasche ans Kunstwerk. Das kennen die Gelsenkirchener, denn vor vier Jahren konnte Jungregisseur Tilman Knabe bei der Premierenfeier tatsächlich nicht die Contenance wahren und warf um sich. Also war der erste behagliche Lacher fällig an diesem Abend. Es sollten viele folgen, denn nach dem drögen Prolog in der Gegenwart tat die Bühne sich dann doch als schier überquellender Zauberkasten auf, mit Drehbühne, rotierenden Kulissen-Wrackteilen und trashig-rauschenden Kostümen.

Der krötigen Platée wird übel mitgespielt. Um seiner Gattin Juno endgültig die leidige Eifersucht auszutreiben, täuscht Jupiter Interesse an Platée vor und treibt das Geschehen bis zur Hochzeit voran, bevor er Juno Platées Hässlichkeit enthüllt, sie der Lächerlichkeit preisgibt und damit die Gattin versöhnt. Eine tragische Figur mit komischen Zügen. Das Schillernde der Figur verschenkt Andreas Baesler gnadenlos an tuntigen Klamauk. Tenor William Saetre muss Platée als alte Transe stöckeln, zappeln und keifen lassen, muss nach Frosch-Art quaken, blöd glotzen und seine große Gesangspartie vor allem karikierend verzerren. Im Prolog tritt Saetre als Putze auf, am Schluss reißt er sich die Puderperücke vom Kopf und der Putzwagen rollt heran. Das ist nicht wirklich komisch. Viele der unablässig zündenden Gags amüsieren durchaus. Der Autritt Amors (Leah Gordon) als puppenhaftes Blondchen ist schön choreografiert und Jupiter (Joachim Gabriel Maaß) als Liberace-Kopie köstlich. Sehenswert auch die ausgiebigen Ballett-Einlagen, die Bernd Schindowski augenzwinkernd an Tango-Mode oder Merce Cunninghams Ausdrücktänze anlehnt. Nach knapp drei Stunden ist man trunken vor Eindrücken, übersatt vom Klamauk, aber weiterhin süchtig nach Rameaus Wundermusik, der Samuel Bächli nach wackeligem Beginn einigen Zauber zu entlocken versteht.

01. Februar, 19:30 Uhr Infos: 0209-4097200