: Himmel und Hänne
DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER
Überall diese großen Vogelgrippe-Plakate. „Sehen wir etwa aus wie die Hühner?“ steht darauf. Oder: „Von wegen Weichei!“ Darunter sitzt meist ein besonders spitzschnäbeliges Küken im Sakko und mit übergeschlagenen Beinen in einem soeben gewaltsam verlassenen Ei. Mit bedenklich rot geschwollenem Kamm. Macht kaputt, was euch kaputtmacht! Da ist so etwas Provokantes in seinem Blick. Ein Post-68er-Protestküken?
Vielleicht ist das ein Solidaritätsplakat für die Hennen und Hähne der Türkei. 14 Millionen will die Türkei jetzt notschlachten, in nur einem Monat. Der Plakattitel trifft ins Nacht-Grab-Schwarze: „Himmel und Huhn“. Jawohl, es muss einen Hühnerhimmel geben! Der Mensch hat den Himmel nicht verdient. Schon weil er bei dem Wort nur an sich denkt. Menschen kommen in den Himmel. Und die anderen? Wollen wir eigentlich in einen Himmel ohne Tiere? Wo man morgens im Frühling nicht mal die Vögel hören kann?
Immerhin haben türkische Hühner viel bessere Überlebenschancen als deutsche Hühner. Deutsche Hühner sammelt man einfach ein, türkische Hühner suchen sie jetzt schon in Schafställen. Denn die türkischen Bauern lassen sich nicht ihre Hühner wegnehmen. Sie verstecken sie überall, in Schafställen oder bei sich zu Hause. Das ist die Bauernschläue. Eine in Europa schon fast ausgerottete Eigenschaft.
Über solchen Überlegungen dringt dann noch etwas Kleingedrucktes ins Bewusstsein: „Ab 26. Januar im Kino“. Also ab morgen. „Himmel und Huhn“? Aus dem Hause Disney? Ah ja. Man könnte nun die Frage stellen, ob Walt Disney da diesmal wirklich mitgedacht hat. Ist es der richtige Zeitpunkt, das Huhn in uns allen zu wecken? „Himmel und Huhn“, der Begleitfilm zur Vogelgrippe. Ein Himmel für alle, pünktlich zur Hauptgrippezeit.
Nun gut, für den Titel können sie nichts in Amerika. Im Original heißt das „Chicken Little“. Den Deutschen fallen doch immer die garantiert dümmsten Filmtitel ein. Dachten die, wir verstehen „Chicken Little“ nicht? Aber Chicken Wings verstehen wir doch auch viel besser als Hühnerflügel. „Chicken Little“ klingt schon wie eine Hauptmahlzeit bei Burger King. Ist schon mal jemand aufgefallen, dass das ganze Disney-Geflügel überhaupt keine Flügel hat? Die haben gefiederte Arme mit Händen.
Flügel sind zu menschenfern. Das Haupt-Küken von „Himmel und Huhn“ hat nicht nur keine Flügel, es hat auch keinen Namen. Es heißt nur Junior. Hühner haben überhaupt nur selten Namen. Ganz anders als die Kaninchen zum Beispiel. Wir sollten noch einmal über die spezifische Namenlosigkeit der Hühner nachdenken. Es gibt allerdings auch Kaninchen ohne Namen. Der Bundestag hat beschlossen, den „Palast der Republik“ abzureißen. Nieder mit dem Symbol der Diktatur! Thierse.
Aber wahrscheinlich hat der Bundestag da was verwechselt, denn der „Palast der Republik“ symbolisierte doch eher den Feierabend. Also Kino, Essen und Tanzen. Lenin hätte in solchen Situationen immer gefragt: Wem nützt es? Die Kommentatoren waren, was sie sonst nie sind, sehr ratlos. Denn der Abriss nützt ja keinem Menschen, nicht mal Herrn von Boddien. Das ist der, der unbedingt das Stadtschloss wieder aufbauen möchte, weil dort, wo der Palast stand, früher mal das Schloss war. Bloß das kann er nicht. Zu teuer. Und vor 2012 sowieso völlig undenkbar.
Trotzdem gibt es einen Gewinner des Palast-Abrisses. Das ist das Berlin-Mitte-Großstadt-Kaninchen. Das Berlin-Mitte-Großstadt-Kaninchen existiert bereits in einem durchaus bemerkenswerten Plural, und dieser Plural musste sich bis eben die Wiese vor dem Palast teilen, dort wo das Marx-Engels-Denkmal steht, und aufpassen, dass es seinem Nachbarn nicht auf die Füße tritt. Jetzt bekommt das Häschen bis Ostern (!) 2007 für viele Millionen – so viel kostet der Abriss – eine zweite Wiese dazu. Und die Füchse laufen noch immer uninformiert durch Kreuzberg. Eigentlich ist das eine sehr schöne Vorstellung: Da wo Berlin am mittigsten ist, wohnen die Kaninchen. Hühner passen zwar auch gut auf eine Wiese, aber Hühner wären doch nicht so schön.
Natürlich ist es kein guter Zeitpunkt und es hat auch etwas von Entsolidarisierung, aber wir sollten endlich zugeben, dass Hühner nicht unbedingt sympathisch sind. Jedenfalls die erwachsenen Hühner nicht. Sie sehen einfach nicht sehr erleuchtet aus. Und das liegt nicht an ihrer Vogelhaftigkeit. Papageien sind ganz anders. Die gucken grundsätzlich wie Philosophen. Und sie sprechen auch so. Zum Beispiel Charlie. Charlie war der Papagei von Churchill. Und Charlie schrie immer: „Fuck the Naaazis!“ Das hatte er von Churchill gelernt.
Im vorletzten Satz ist ein Fehler. Churchill war, Charlie ist. Der gelbblaue Ara glaubt nämlich nicht an den Disney-Geflügel-Himmel und ist darum vorsichtshalber noch nicht gestorben. Er ist schon über 100 Jahre alt und fordert täglich „Fuck the Naaazis!“ Eigentlich könnte Charlie jetzt nur noch H5N1 gefährlich werden. H5N1 ist ein ziemlich naher Verwandter von H1N1. H1N1 ist das Grippevirus, das 1918 mehr Tote forderte als der Erste Weltkrieg. Mindestens 50 Millionen! Es kam aus Amerika, genau wie Chicken Little. Chicken Little kommt aus Oakey Oaks, vielleicht liegt das auch in Kansas.
H1N1 jedenfalls kam aus Kansas, und befiel auch zuerst Chicken Littles, also Geflügel aller Art. Aber in Kansas 1918 gelang es H1N1 endlich, ein Von-Mensch-zu-Mensch-Virus zu werden. Diesmal, wissen wir, kommt das Virus aus China. Wer in China Fernsehen guckt, kann Nachrichten hören wie: „Unter Führung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei haben wir eine Ausbreitung der Vogelgrippe auf den Menschen verhindert.“ Die DDR hätte das genauso formuliert. Es ist vielleicht doch richtig, über den Andenken von Staatswesen, die solche Sätze hervorbringen, Rasen zu säen.
In „Chicken Little“, deutsche Fassung, würden sie sagen: Da lachen ja die Hühner! – merkwürdigerweise ist unsere Sprache ungemein reich an sinnlos-unkomischen Sprachbildern wie diesem. Und die Verdummung des Deutschen durch die Rechtschreibreform soll auch gleich fertig sein. Ende der Reform- Rücknahmemöglichkeiten im Februar! Dann kann man nichts mehr ändern an der Laut-Buchstaben-Zuordnung.
Der Stendelwurz, wusste ein einzelner Reformer, ist eine erektionsfördernde Pflanze, weshalb Schulkinder jetzt Ständelwurz schreiben müssen. Und Gämse statt Gemse. Und immer so weiter. Aber nicht Hänne statt Henne! Dabei kommt die Henne nun wirklich von Hahn. Die Rechtschreibreform, rein wissenschaftlich gesehen, reicht über Ständelwurz-Qualitäten nicht hinaus und gilt trotzdem. Vielleicht sollten wir künftig Hänne schreiben.
„Himmel und Hänne“ klingt doch gar nicht schlecht. Hat in den USA schon 125 Millionen Dollar eingespielt. In China und in der Türkei sind Mensch und Hänne einander aber noch viel näher als in Amerika. Manchmal teilen sie sogar das Wohnzimmer miteinander. Auch in den Städten. Gerade in den Städten. Wahrscheinlich haben die Hühner dort trotzdem keine Namen.