Ringen um Verständnis

Der israelische Psychologe Dan Bar-On präsentiert im Literaturhaus seine dialogische Friedensarbeit

von Katrin Jäger

Wie schwierig es ist, sich dialogisch miteinander einzulassen, hat bereits Platon vor rund zweitausend Jahren mit seinen sokratischen Gesprächen gezeigt. Dialog bedeutet Austausch. Der wiederum bedarf einer Öffnung gegenüber dem anderen. Das kann unangenehm sein, vor allem, wenn dieser andere für das Fremde steht, mit dem man nichts zu tun haben möchte.

Gelingt der verbale Austausch, dann eröffnet er allerdings die Chance für ein friedliches Miteinander. Dieser Herausforderung stellt sich der israelische Psychologe Dan Bar-On seit 30 Jahren, in seiner dialogischen Arbeit mit Nachkommen von Holocaust-Opfern und Tätern, mit Arabern und Israelis. „Der Dialog ist kein Sprechen über die Dinge. Er gelingt nur, wenn die Person ihre Geschichte ausspricht“, sagt Bar-On.

Über seine Praxis wird er jetzt im Philosophischen Café des Hamburger Literaturhauses sprechen, mit dem Moderator Reinhard Kahl und dem Publikum. Das Thema des Abends wird insofern gleichzeitig zum performativen Akt für alle Beteiligten. Man kann dabei versuchen, die inhaltlichen Erkenntnisse in seinen eigenen Beitrag zu integrieren.

„Storytelling“ hat der Psychologe aus Israel seine Methode genannt, die eigene Geschichte zu erzählen. Das ist schwierig, verschlägt einem doch die Verdrängungsmaschinerie im Kopf gern die Sprache. Es geht um die Bereitschaft, „sich in seine eigene Geschichte einzuleben“, um all ihre lebendigen Schwingungen jenseits faktischer Aneinanderreihung zu transportieren. Wenn die Worte heraussprudeln oder tröpfeln, unzensiert, vielleicht gespickt mit Wut- oder Verzweiflungsausbrüchen, mit Rachegelüsten oder Resignation, kann das kaum auszuhalten sein, für den- oder diejenige, die gegenübersitzt. „Storylistening“, das Zuhören, ist im dialogischen Friedensprozess ebenso wichtig wie das „storytelling“.

Dan Bar-On gründete die Gruppe „To Reflect and Trust“ (TRT), in der sich Nachkommen von Nazi-Tätern und Nazi-Opfern seit vielen Jahren miteinander auseinander setzen. Ende der 90er Jahre lud diese Gruppe erstmals auch Vertreter aus Nordirland, Israel, Palästina und Südafrika zu ihren Treffen ein. Den anderen kennen zu lernen, seine Sicht der Dinge verstehen zu lernen, den eigenen Schmerz in die Gesprächsbeziehung integrieren zu können: Das versteht TRT unter Friedensarbeit. „Friedensprojekte brauchen nicht nur große Politik, sondern ganz besonders die Bereitschaft Einzelner, sich auf die Menschen von der anderen Seite einzulassen“, erklärt Dan Bar-On. Es ist auch die Auseinandersetzung mit Feindbildern im eigenen Kopf, der Abgleich von Phantasien mit der Geschichte des Gegenüber.

Dan Bar-On hat Verteibung, Hass, Unterdrückung und deren psychischen Folgen am eigenen Leibe erfahren. Seine Eltern entkamen nur knapp dem Holocaust in Nazi-Deutschland und flohen nach Haifa. Dort wurde er 1938, zehn Jahre vor der Gründung des Staates Israel, geboren. Nach seinem Psychologiestudium spezialisierte er sich auf die Therapie von Holocaust-Überlebenden. Heute ist er Professor für Psychologie an der Ben-Gurion-Universität in Beersheva und Co-Direktor von PRIME, dem „Peace Research Institute in the Middle East“. In Ost-Jerusalem betreut Bar-On ein Projekt mit israelischen und palästinensischen Schülern und deren Lehrern. Die Schüler schreiben ihre Geschichten zu bestimmten Ereignissen im israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Texte werden ins Arabische und Hebräische übersetzt, und die Lehrer arbeiten mit ihren Schülern all diese Erzählungen durch.

Trotz dieser intensiven Dialogarbeit glaubt Dan Bar-On jedoch nicht, dass beide Seiten innerhalb der nächsten Jahre eine gemeinsame Sicht der historischen Ereignisse entwickeln werden. Aber er hofft auf ein künftiges friedliches Nebeneinander zweier Staaten, wenn das Verständnis füreinander größer sei und damit der Respekt füreinander wachse.

„Der Dialog, die schwierige Entdeckung des Selbstverständlichen“: Di, 31.1., 19 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38