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Archiv-Artikel

Kein Küblböck, nirgends

Die deutschen Casting-Shows haben zwar leidlich gute Quoten, aber kein Mensch erregt sich noch über Weinkrampf und Zickenkrieg. Auch die üblichen Schnappreflexe des Feuilletons bleiben aus

Von Hannah Pilarczyk

Ehrlich, wir kommen gleich auf Dieter Bohlen zu sprechen. Erstmal müssen wir aber der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) widersprechen. „Die Tagespresse der Axel Springer AG verfügt über eine überragende Fähigkeit zur Bestimmung bundesweiter Tagesthemen und zur Durchführung bundesweiter Kampagnen“, urteilte die KEK vor knapp drei Wochen und untersagte Springer die Übernahme von ProSiebenSat.1, weil sie eine vorherrschende Meinungsmacht des Verlags in Verbindung mit den Fernsehsendern befürchtete. Wir hassen es, zu sagen, aber: Von Kampagnenfähigkeit ist in diesen Tagen einfach nichts zu spüren.

Seit Wochen schreibt, schreit und säuselt die Bild über die Casting-Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS). Sie verrät, ob die „Superstar“-Kandidaten auch Supersex hatten, enthüllt, was es mit Bohlens Lederjacke auf sich hat und versucht, durch die Bekanntgabe der „geheimen Abstimmungsergebnisse“ der Show einen Skandaltouch zu geben. Aber es nützt nichts: Keiner will über „DSDS“ reden. Wie eine Stecknadel hat sich die Zeit in das Format gebohrt und diesem interpretatorischen Ballon, zu dem es Medienkritik und Feuilleton aufgeblasen haben, die Luft rausgelassen. Castingshows als Ausdruck des neoliberalen Jeden-gegen-jeden? Einzige Aufstiegschance für Migrantenkinder, die Deutschland noch zu bieten hat? Pfffff – übrig geblieben ist die schlaffe Hülle einer leidlich erfolgreichen Unterhaltungsshow.

Die „Voll-Bock-Attitüde“

Dabei gäbe es durchaus einiges über die aktuellen Casting-Sendungen und -Kandidaten zu sagen. Zum Beispiel wie „uns Heidi“ Klum in ihrer neuen Show „Germany’s next Topmodel“ (Pro7) versucht, das banale Fleischbegutachtungsprinzip der Sendung zu überhöhen. 32 Mädchen traten am Mittwochabend für den titelgebenden Titel und einen damit verbundenen Modelvertrag an, zwölf blieben nach der ersten Runde übrig – selektiert nach Augen- und Maßbandmaß, aber auch durch einen Auftritt, der in seiner Widerlichkeit schon fast einer Sexismusparodie gleichkommt.

Die Mädchen mussten nämlich in hautfarbenem Unterwäsche-Ersatz vor einem johlenden Haufen von Bergarbeitern (!) einen Laufstegauftritt absolvieren. Realistisch betrachtet war das vielleicht sogar die beste Vorbereitung auf die Warenförmigkeit des nächsten Topmodel-Körpers. Aber von wegen: Für Klum und Co. ging es um „personality“ und „Voll-Bock-Attitüde“. Wenn schön sein nicht mehr reicht, ist das dann gut oder schlecht?

Dem Kampf um „personality“ hat sich auch „Deutschland sucht den Superstar“ verschrieben. Mit dem nachgerückten Finalisten Didi Knoblauch hat man die eigentlich nun in der Sendung: Der 25-jährige Fahrlehrer wurde nämlich als Mädchen geboren, hat sich aber schon früh fürs Mannsein entschieden. Ein bekennender Transsexueller in einer Sendung, die allein auf Massenappeal baut – vor ein paar Jahren hätte das noch Schnappreflexe in den Feuilletons ausgelöst. Jetzt reicht es nicht einmal mehr für ein zaghaftes Einspeicheln.

Natürlich: Die Quote stimmt. „DSDS“ hat regelmäßig Marktanteile von über 30 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe. Und die möglichen nächsten „Topmodels“ holten aus dem Stand okaye 13,5 Prozent. Erfahrungsgemäß wird sich das im Verlauf wohl noch steigern. Alle schauen’s, aber keiner will drüber reden – ist das also das neue Casting-Phänomen?

Nein, das hat eine Show am Mittwochabend deutlich widerlegt. Dort traten ein Underdog und ein haushoher Favorit gegeneinander an – nur einer konnte übrig bleiben. Die Bedingungen ihres Kräftemessens waren umstritten, wahrscheinlich werden Klagen folgen. Auf jeden Fall gab’s Überraschungen und Beleidigungen wie bei „Deutschland sucht den Superstar“, darüber hinaus auch Verletzte! Und eine prima Quote von 15,3 Prozent! Zudem spricht das ganze Büro über diese Show – dieses sensationelle DFB-Pokalviertelfinale zwischen St. Pauli und Werder Bremen.