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Archiv-Artikel

Wummern in den Körperzellen

KONZERT Musikalisch war es beim mit Mouse On Mars und Palais Schaumburg gut besetzten Teenitus-Festival tadelfrei – und hätte mehr Publikum vertragen

Freaks latschen durch den Festsaal Kreuzberg, einer sieht ein bisschen so aus wie Allen Ginsberg im Bademantel. Jemand filmt ihn. Durch die Halle wummert Elektro-Sound. Über den Boden gelangt er in die Körperzellen. Es durchzuckt einen. Auf der Bühne sind Laptops, Mischpulte, Keyboards, Synthies aufgebaut. Haufenweise Kabel hängen herum.

So sieht es aus beim Teenitus-Festival, bei dem von Mittwoch bis Freitag im Festsaal, Monarch und im West Germany, der Clubmeile am Kottbusser Tor, mehr als 15 Acts zu hören waren: experimentelle Musik, Elektro und Klangkunst, zum Teil mit visuellen Elementen verbunden. Mit den Elektropionieren Mouse On Mars, den New-Wave-Avantgardeler von Palais Schaumburg und dem Soundtüftler Alex Zhang Hungtai alias Dirty Beaches als Headliner.

Am ersten Abend bildet das Publikum einen Kreis um Masayoshi Fujita und den Soundtüftler Jan Jelinek. Das Duo sitzt sich in der Mitte des Saals gegenüber. Fujita hockt vor seinem elektrisch verstärkten Vibrafon, Jelinek vor einer Menge Reglern und Knöpfen. Der in Berlin lebende Japaner Fujita streichelt sein Instruments erst mit den Schlägeln, dann mit Gegenständen. Schließlich legt er eine Alufolie auf sein Vibrafon. Blecherner Nachhall entsteht. Dazu ertönen die Samples von Jelinek. Das hört sich an, als ob Dosen über Asphalt rattern. Oder als ob ein Eimer Wasser in einen Gully gekippt wird. Als ob man am Telefon einen Faxanschluss erreicht. Etwa hundert Zuhörer staunen und klatschen.

Stillstehen unmöglich

Partytauglicherer Sound kommt dann von Mouse on Mars. Das Kölner Elektrogespann ist laut, repetitiv, intensiv, mitreißend. Jan St. Werner und Andi Toma vergnügen sich an ihren Laptops und Keyboards, während Live-Schlagzeuger Dodo Nkishi die Beats zum Teil mit extrem verzerrten Gesang begleitet. Stillstehen unmöglich.

Am Donnerstagabend treffe ich ein, als Felix Kubin gerade aufbaut. Im Publikum ein paar alte Punks, schlecht frisierte 80er-Jahre-Spaßguerilla-Typen, besser frisierte Kunststudentinnen, gar nicht frisierte Nerds und junge elektroaffine Gäste.

Kubin ist ein cooler Hund. Der Hamburger tobt sich an den Keyboards aus, zu tanzbaren Beats posaunt er tolle Texte in die Welt hinaus: „Raus aus meinem Traum Donald Duck / Raus aus meinem Traum Roland Koch / Raus aus meinem Traum Terence Hill / Raus aus meinem Traum Schweiger Til.“ Wie stets in grauer Uniform gekleidet, wippt der Hamburger Künstler hinter seinen Gerätschaften. Und übergibt dann nach seiner Dada-Disco-Performance zu Palais Schaumburg mit dem Bekenntnis: „Ohne die würde ich den ganzen Kram wohl nicht machen.“

Es fühlt sich an wie eine Zeitreise, als Palais Schaumburg auf der Bühne stehen. Deren Hits wie „Wir bauen uns ein neue Stadt“ und „Kinder der Tod“ sind mehr als 30 Jahre alt. Und haben nichts an Wucht verloren. Wie groovy die sind! Ein knarzender Bass, ein breakreiches Schlagzeug, die Keyboards und Trompete von Thomas Fehlmann. Sänger Holger Hiller zappelt in seinem Anzug, trinkt Rotwein aus der Flasche und hackt zwischenzeitlich auf der Gitarre herum. In den ersten Reihen vor ihm sieht man viele Menschen glücklich hüpfen und mitsingen.

Mit etwa 250 Besuchern pro Abend ist das Festival für die hochkarätige Besetzung an den ersten beiden Abenden eher mau besucht. Am letzten Abend fehle ich schließlich entschuldigt mit Tinnitus. JENS UTHOFF