: Suggestive Bürgerlichkeit
Vom Versuch der Moderne, nicht am Pomp der Gebäude des 19. Jahrhunderts zu ersticken: Der jetzt scheidende Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede hat sich daran ebenso abgearbeitet wie seinerzeit Schauspielhaus-Intendant Tom Stromberg
von Petra Schellen
Es sind die Gebäude. Monstren des 19. Jahrhunderts mit Rüschen am Ärmel und Klassizismus-Fransen in der Stirn, die heutige Macher verzweifeln lassen. Wie soll man sie auch leugnen, die erdrückende Wucht dieser so selbstbewussten Architektur, die alle Nüchternheit im Keim erstickt?
Belege für dieses Phänomen gibt es viele; das 1900 eröffnete neobarocke Hamburger Schauspielhaus, vor dessen Pomp Intendant Tom Stromberg kapitulierte, ist eins davon. Mit in die Logen verlagerten Szenen hatte etwa Lieblings-Nachwuchsregisseur Stefan Pucher in seiner Möwe-Inszenierung versucht, den Plüsch zu entmuffen. Gehadert aber hat Stromberg bis zuletzt mit dem bürgerlichen Bau, dessen Symbolkraft er nicht aus seinem Bewusstsein bannen konnte.
Um ein Vielfaches schwerer gestaltet sich dies im Museumsfall, haben dessen Exponate doch meist nicht einmal – vom Baustil ablenkende – Bewegung zu bieten. Wie also sollte Uwe M. Schneede, am kommenden Dienstag nach 15 Jahren scheidender Kunsthallen-Direktor, der Monumentalität des 1868-er Altbaus beikommen, die der Ästhetik seiner geliebten jungen Kunst entgegenstand?
Leiter des Kunstvereins war er zuvor gewesen, hatte für die Einrichtung staatlicher Künstlerstipendien plädiert und war sich stets bewusst, dass Museen Nachwuchs brauchen. Wie dies aber in ein Gebäude integrieren, dessen Rotunde jedes private Wort quer durch die Halle schickt und dessen Kuppelsaal nicht das geringste Understatement atmet?
Nun, er und die Seinen haben Rat gewusst: Haben – etwa in der Ausstellung Lothar Baumgartens – eben jene Kuppel für sich entdeckt: Absurda wie wie „Kuttenschneck“ und „Wachtelpfeif“ hatte er spiralförmig auf die Wände geschrieben und den Betrachter wieder das Kreiseln gelehrt. Per Video wiederum durchbrach die palästinensische Künstlerin Mona Hatoum die wehrhaften Altbaumauern: Aus verschiedenen Perspektiven ließ sie das, was sich vor der Tür abspielte, ins Innere der Kuppel übertragen; wie in einem Wachturm fühlte sich, wer das städtische Treiben von oben sah.
Davon abgesehen ließ sich aber wenig experimentieren auf der zwischen Bahngeleisen und Straßen eingekeilten Museumsinsel, und Reihen wie „Standpunkt“, eingeführt als Forum für junge Künstler, wären singulär geblieben, hätte es ab 1997 nicht die lang ersehnte Galerie der Gegenwart gegeben.
Und so wären denn alle zufrieden gewesen, hätte nicht ein spezielles Ausstellungsareal gefehlt. Ein Dilemma: Man wollte Sammlung und Sonderschauen gleichzeitig bieten – und wäre zum ewigen Auf- und Abhängen verurteilt gewesen, hätte Schneede nicht den Mäzen Hubertus Wald als Financier der Umgestaltung des ehemaligen TiK in das 2004 eröffnete Hubertus-Wald-Forum bewegt. Zwei größere und fünf kleine, intim-klaustrophobische Gänge birgt der Bau, der seither die Sonderausstellungen zeigt. Eine architektonisch nicht optimale Lösung, angesichts des Mangels an Alternativen aber die pragmatischste.
Wie der solcherart zwischen Vision und Pragmatismus changierende Kunsthallen-Direktor im Übrigen an Geld kam? Immer stärker durch Sponsoren, die inzwischen für sämtliche Neuerwerbungen bzw. Schenkungen zuständig sind. Und auch wenn er es nie zugab – Schneede muss das bedauert haben, bedeutete es doch eine unfreiwillige Privatisierung der Ankaufspolitik: In Zeiten, in denen sich die öffentliche Hand nicht einmal in der Lage fühlte, das seit Eröffnung der Galerie der Gegenwart existierende strukturelle Defizit von 500.000 Euro jährlich aufzufangen, war an staatliche Ankaufsmittel schon gar nicht zu denken.
Doch Schneede wetterte und wettert nicht. Er fand sich ab mit dem Akquise-Zwang und freute sich, auf diese Weise die Reihe „Kunst in Hamburg. Heute“ beginnen zu können. Nein, von der Politik im Stich gelassen gefühlt habe er sich nie, sagt er – und über den etwaigen Einfluss von Sponsoren schwieg er sich aus.
Trotzdem war es spürbar, das sich in den letzten Jahren steigernde Bemühen, Journalisten dezent zur Veröffentlichung von Sponsorennamen zu bewegen. Unwürdig muss das gewesen sein für einen wie Schneede, der zwar stets für die Öffnung des Museums plädierte, großen Wert aber auch auf Nachhaltigkeit – etwa die Aufarbeitung des Kupferstichkabinetts – legte. Zentral war für ihn auch die – 2005 endlich gelungene – Verstetigung des „Provenienzprojekts“ zur Erforschung der Herkunft der zwischen 1933 und 1945 erworbenen Bestände. „Ich halte dies für eine moralische Verpflichtung“, sagte Schneede, als die Politiker standhaft vorgaben, kein Geld zu haben. Doch verbittert nachzukarten ist nicht seine Art: Zurückhaltender Diplomat ist er all die Jahre hindurch geblieben. Einer, der sich jetzt auf die Freiheit des Nicht-Mehr-Leiten-Müssens freut.