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Archiv-Artikel

Alte Geschichte, neu erzählt

GENRE Thomas Arslans entschleunigter Thriller „Im Schatten“ rekonstruiert mit äußerster Rationalität einen Mann, dessen ganzes Dasein darauf angelegt ist, keine Spuren zu hinterlassen, keine Bindungen und keine Loyalitäten

Thomas Arslan behandelt das Verbrechen mit dem kühlen Blick eines Forschers als eine normale Prozedur

VON BERT REBHANDL

Wenn ein Mann aus dem Gefängnis entlassen wird, dann hat er zwei Möglichkeiten: Er kann eine neue Geschichte beginnen, oder er kann versuchen, seine alte Geschichte neu zu schreiben. Trojan (Mišel Matičević), der Mann, der in Thomas Arslans Film „Im Schatten“ im Zentrum steht, entscheidet sich für Letzteres. Er sucht seine alten Verbündeten auf, schwere Jungs auf die ein oder andere Art. Kaum hat er Anstalten zu einem neuen Leben in Freiheit gemacht, da ist schon wieder die Rede von Uhren, die man erbeuten könnte, oder von einem Geldtransporter, der zu überfallen wäre. Er bewegt sich durch diese Welt mit gelassener Souveränität. Er kennt die Tricks, er steckt ein Stück Papier in seine Wohnungstür und ist darauf gefasst, dass Ganoven ihn dort erwarten. Er lässt sich mit Kollegen ein, als aber einer ihm ein Bier anbietet und ein anderer zu spät zu einer Besprechung kommt, ist der Job mit den Uhren geplatzt.

Stattdessen tut sich da eben diese andere Sache auf, ein Geldtransporter, dessen Beifahrer käuflich ist. Die Frau, die Trojan diese Idee unterbreitet, gehört eigentlich auf die andere Seite: Dora (Karoline Eichhorn) arbeitet bei Gericht, sie ist Pflichtverteidigerin von Männern wie Trojan, und bei ihrer Tätigkeit hat sie ganz offensichtlich Geschmack gefunden an einem Doppelleben. Sie hält Verbindungen in die Halbwelt, distanziert, denn sie gehört dieser Welt nicht an. Für Trojan ist sie eine ideale Partnerin, denn er gehört gar keiner Welt an. Sein ganzes Dasein ist darauf angelegt, keine Spuren zu hinterlassen, keine Bindungen, keine Loyalitäten. Nur alte Schulden – die werden beglichen.

Für Thomas Arslan ist „Im Schatten“ in gewisser Hinsicht eine Abkehr von dem zuletzt verfolgten Prinzip zunehmend reduzierter Geschichten („Der schöne Tag“) und die Rückkehr zu einer an Genrekonstruktionen orientierten Erzählweise. Aber die Interessen bleiben die gleichen: Ihm ist vor allem daran gelegen, eine Stadt zu filmen, durch die sich Menschen bewegen. Alle Vorhaben werden an anonymen Orten besprochen, auf Parkplätzen oder in Hotelzimmern. Nach der Besprechung wird das Vorhaben neu definiert, man trennt sich von Partnern, handelt die Minimalbedingungen aus, wägt die Optionen ab.

Das alles findet „Im Schatten“ statt, es sind Vorgänge, auf die niemand achtet, außer dem Polizisten René (Uwe Bohm), der aber auch stärker an seinen eigenen Möglichkeiten interessiert ist als an der Durchsetzung von Recht und Gesetz. Der Coup, auf den Thomas Arslan hinauswill, ist einerseits ganz konkret (wie in allen solchen Fällen hängt die Sache auch hier von einer präzisen Choreografie ab) und auf der anderen Seite eine große Allegorie auf das bis in einzelne Handgriffe hinein arbeitsteilige Funktionieren einer Gesellschaft, die sich in einen legitimen und illegitimen Bereich aufspaltet.

Der legitime Bereich spielt bei Arslan keine Rolle, stattdessen behandelt er das Verbrechen mit dem kühlen Blick eines Forschers als eine ganz normale Prozedur, die keiner besonderen Rationalität unterliegt, sondern einer allgemeinen. Trojan verkörpert diese Rationalität besser als die meisten seiner Kumpanen, deswegen ist die Frau vom Gericht seine natürliche Partnerin, denn sie ist schließlich eine Expertin für Rekonstruktionen.

Damit wäre auch die Position ganz gut beschrieben, die Thomas Arslan mit „Im Schatten“ gegenüber dem Genre (halb klassischer Kriminalfilm, halb radikal entschleunigter Thriller) einnimmt: Es ist eine Position rationaler Rekonstruktion, die aber natürlich als solche nicht für einen guten Film genügen würde, auch wenn das Berlin, das hier ständig zu sehen ist, eine von der Handlung unberührte Entdeckung darstellt, eine Stadt, in der man sich noch in die Büsche schlagen kann.

Arslans Geschichte gewinnt erst an einem Störfall die entscheidende Qualität. Bezeichnenderweise ist es der Polizist, der eine Grenze übertritt, jenseits deren sich Trojans Souveränität auf eine schwere Probe gestellt sieht. Die drei Fragen, die sich in einem Fall wie diesem stellen, werden alle beantwortet: Wer bleibt übrig? Mit wem? Mit wie viel Geld? Die Antworten auf diese Fragen schreiben „Im Schatten“ seinen Status zu: als Versuch, eine alte Geschichte neu zu erzählen; dort anzusetzen, wo immer schon einer war.

■ Heute, 19.15 Uhr, CineStar8; Mi., 17. 2., 12 Uhr, Arsenal 1; Do., 18. 2., 20 Uhr, Colosseum 1