: Illusion am Fließband
WERKSTATTBESUCH Wälder bauen: In der größten Bühnenwerkstatt Deutschlands wird Händels Oper „Orlando“ vorbereitet. Ein Einfall verwandelt sich in Plastik, Plastik in Bäume
VON CAROLIN PIRICH
Manchmal sind die einfachen Dinge die komplizierten. Der Regisseur will einen Wald, einen richtigen, echten Wald. Das Stück ist verworren genug, es geht um Liebe. Orlando liebt Angelica, die wiederum Medoro liebt, der in Dorinda verliebt ist, sich aber doch für Angelica entscheidet, was Orlando vor Eifersucht wahnsinnig werden lässt. Nur ein Zauberer verhindert Schlimmes. Zauberer passen gut in einen tiefen Wald. Aber einen Wald zu zaubern, ist leichter gedacht als getan.
Wenn man einen Wald auf eine Opernbühne pflanzen will, muss er pflegeleicht sein. Er darf keine Nadeln verlieren, er soll nicht trocknen, muss Brandschutzbestimmungen erfüllen und leicht zu transportieren sein. Überhaupt muss er erst einmal durch die Tür passen. Ein Wald im Theater darf niemals aus Bäumen bestehen. Es soll nur so aussehen.
In den Bühnenwerkstätten der Berliner Opernstiftung in der Chausseestraße bauen Schlosser, Tischler, Dekorateure, Plastiker und Maler 70 Bühnenbilder im Jahr. Es ist ein hoher, unsanierter Bau aus den 30er-Jahren mit mehreren Hallen. Seitdem die Werkstätten der Staatsoper, der Deutschen Oper, der Komischen Oper und des Deutschen Theaters hier zusammengezogen sind, ist hier die größte Illusionswerkstatt des Landes. Aber sie verschwindet fast zwischen den Bürobauten in Berlin-Mitte.
Grün aus China
Das meiste Grün für Berlin kommt aus China. In großen Umzugskisten wurde es angeliefert und in einer Ecke des Raumes übereinander gestapelt, Zweige in Unterarmlänge mit Nadeln in gleichmäßigem Flaschengrün. Sie sind aus Plastik, weshalb sie nicht pieksen, sondern leicht nachgeben und ein wenig kitzeln, wenn man mit den Fingern über einen Zweig streicht. Sie sind für die Bäume in der Neuinszenierung von Händels Zauberoper „Orlando“ an der Komischen Oper, Premiere ist am 26. Februar. Der Bühnenbildner stammt aus Norwegen, dessen Name klingt wie sein Konzept, Erlend Birkelend.
„Das künstlerische Konzept hier ist Wald“, sagt Thomas Koletzki, der Theaterplastiker. Dichte Tannenzweige liegen sauber gestapelt auf seiner Werkbank. Ein Hauch von Klebstoff zieht durch die Luft. Er wickelt einen letzten Zweig mit Draht an die Aluminiumstange, tropft Heißkleber auf die Zweige, damit sie später nicht lose herumbaumeln, und legt den flachen Ast zum Trocknen auf die anderen.
Thomas Koletzki sieht aus wie aus einem Stein geschliffen. Kopf, Schultern, Oberköper, die kräftigen Hände, alles an ihm wirkt fest und abgerundet. Er trägt Jeans zu einem Holzfällerhemd, unter dem ein geringeltes T-Shirt hervorschaut, weiß und blau, wie es einst Picasso trug, aber das ist nur Zufall. Eigentlich wäre Thomas Koletzki Bildhauer geworden, einer, der seine eigenen Gedanken formt. Aber als die Kinder kamen, wollte er mehr Sicherheit. Also hilft er nun anderen dabei, ihre Ideen zu sehen.
Dreißig Bäume soll die Werkstatt bauen. Jeder Baum besteht aus bis zu zehn Ästen, und die setzen sich aus bis zu zehn Zweigen zusammen. Die Nadeln kann man nicht zählen. Die Baumstämme für den Wald kommen aus der Schlosserei. Sägen kreischen auf Metall, nur die Popmusik aus dem Radio ist lauter. Ein Stamm setzt sich aus fünf Aluminiumstangen zusammen, die in der Mitte einen Hohlraum bilden wie bei einem Gerippe. Sie sind unterschiedlich lang, je nachdem, ob aus ihnen ein Hängebaum, ein kleiner Baum oder ein Klappbaum wird. Die höchsten sind die Klappbäume: Sie messen sechseinhalb Meter und liegen schon im Hof im Schnee. Irgendwann sollen sie auf der Bühne aufklappen, ohne die Sänger zu treffen.
Drinnen feilen die Schlosser an einem Hängebaum. Der Stamm des Hängebaums verjüngt sich nach oben wie ein natürlicher Stamm. „Ein Probebaum“, sagt der Schlossermeister. Erst wenn der Baum beastet auf der Bühne hängt und Bühnenbildner und Regisseur sehen können, ob er wirkt, wie sie es sich vorstellen, bauen die Schlosser eine Serie von konischen Hängebäumen.
Wurzelbehandlung
„Da kommt eine Menge Grünzeug zusammen“, sagt Thomas Koletzki, der Plastiker, und man könnte meinen, er seufze dabei ein wenig. Dann zeigt er auf einen Tisch, auf dem ein Wurzelgeflecht liegt. Es sieht aus, als hätte er es nach dem letzten Sturm auf einem Spaziergang gefunden und einfach mitgenommen. „Das ist unsere Stärke“, sagt er, „die Natur frei nachempfinden.“ Nur wenn man nahe an den Tisch herangeht, sieht man, dass Wurzeln, Steine und Erde aus Kaninchendraht, Kork und groben Seilen geflochten sind, zwischen denen hellgrüne Plastikgrashalme herausragen. Zwei Wurzeln sind aus Gummi, damit sie die Sängerin auf der Bühne leicht auseinanderdrücken kann, wenn sie durch den Baum singen soll.
„Auf der Bühne sieht es so aus, als hätten wir nichts gemacht“, sagt Oliver Reiland. Er steht zwischen Farbeimern in unterschiedlichen Größen, besenlangen Pinseln und Spritzpistolen. Überall ist er mit Farbtupfern besprenkelt, auch an seinem langen Zopf. Die Farbspritzer stammen aus drei verschiedenen Welten, aber für Oliver Reiland ist das nichts Besonderes, immer pendelt er zwischen den Illusionen der Bühnenbildner, die er ausmalt. Gerade wurde ein überdimensionales Relief eines antiken Schwertträgers in die Staatsoper abtransportiert. Damit er genauso aussieht, wie aus dem Museum, in dem der Bühnenbildner ihn entdeckt hat, hatte der eine Postkarte mitgebracht. Sie liegt jetzt neben einer Pappe, die für eine Inszenierung am Deutschen Theater bearbeitet wird. Das Stück soll in eine Industriebrache gesetzt werden, deshalb versuchen die Maler, mit Farbe Pappe rosten zu lassen, damit sie in wenigen Wochen so aussieht wie Industriestahl, der Jahre lang im Freien lag.
Während der Rost wächst, besprüht Oliver Reiland die Äste für die Oper mit Farbe, damit sie auf der Bühne später unbehandelt aussehen; die Oberseite sattgrün, die Unterseite bläulich, die Gummirinde über den Stahlstämmen braun gefleckt.
Wenn die Liebe Orlando in den Wahnsinn treibt, soll in der Vorstellung des Publikums aus Plastik wieder ein Wald werden.