: Eine existenzielle Erfahrung
SPIRITUELL In Reha Erdems Film „Kosmos“ (Panorama Special) geht es um einen Heiler, der gleichzeitig angebetet und gejagt wird
Eine karge Schneelandschaft. Darin ein Mann, der seltsame Laute – sind das Schreie? – von sich gibt, die sich mit dumpfen Feuergeräuschen von Artilleriegeschossen aus dem Hintergrund vermischen. Ein kleiner Junge, der in eisiges Wasser fällt und im letzten Moment vom herbeieilenden Mann gerettet wird. Dann eine Begegnung zwischen dem Mann und der Schwester des Jungen, die, ohne auch nur ein Wort zu wechseln, eine Art Liebesbeziehung eingehen. So beginnt „Kosmos“ des türkischen Regisseurs Reha Erdem.
Der Mann kommt in das Dorf, aus dem der Junge stammt. Dort hat sich die Kunde von der wundersamen Rettung in Windeseile verbreitet. Er wird über einem alten Teehaus untergebracht und beginnt, die Menschen im Dorf zu heilen, indem er sie von hinten umklammert und auf diese Weise Lebensenergie auf sie überträgt. Nachdem er einen alten Mann vom Asthma und eine jüngere Frau von ihrem Beinleiden befreit hat, wird er zur Projektionsfläche sämtlicher Träume und Hoffnungen der Dorfbewohner. Gleichzeitig – und diese gegenläufige Bewegung verleiht der Geschichte ihre Dynamik – wird er zum Gejagten, da er, anstatt die Almosen der Bevölkerung anzunehmen, in deren Läden einbricht und sich nimmt, was er braucht. Und so scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihn die allgegenwärtige Miliz erwischen wird.
Der Protagonist ist gleichermaßen Derwisch wie Wiedergänger Christi, der alle Leiden der Menschen in sich aufnimmt. In einer Szene wird ihm vom Vater des geretteten Jungen mit einer Zigarette ein Stigma in die Hand eingebrannt. Ein wenig fühlt man sich an die Arbeiten des rumänischen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade erinnert, an dessen Studien zum Schamanismus und seine Beschreibung von Spiritualität als existenzieller Erfahrung. So wird deutlicher, worum es in „Kosmos“ gehen könnte: um eine Situierung der Conditio humana im Spannungsfeld zwischen Spiritualität und Rationalismus. Erdems Film wird so zu einer Meditation über das Menschsein selbst.
ANDREAS RESCH
■ 19. 2., 17 Uhr, International; 20. 2., 22.30 Uhr, Cubix 7 und 8