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Archiv-Artikel

Ein Zutrauen zu den Gefühlen

THEATER Große emotionale Geschichten schätzt die junge Deutsch-Iranerin Azar Mortazavi für ihre Dramentexte. Bei den jetzt gestarteten Autorentheatertagen im Deutschen Theater ist ihr Stück „Ich wünsch mir eins“ zu Gast

Nur mit kühlem Kopf ist ihren Stücken jedenfalls nicht beizukommen

VON BARBARA BEHRENDT

Ja, das ist wagemutig: Wer so beherzt mit einer solchen emotionalen Eindringlichkeit schreibt wie Azar Mortazavi, der gerät im diskursstarken deutschen Theater leicht unter Kitschverdacht. Die 28-jährige Deutsch-Iranerin beschreibt Gefühle der Entwurzelung, der Heimatlosigkeit und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Doch ihre Protagonistinnen wirken nie larmoyant – es sind selbstbewusste junge Frauen, getrieben von einem starken Willen nach Unabhängigkeit, hartnäckig suchen sie nach ihrem Platz in dieser Welt.

Zwei Dramen hat Azar Mortazavi bisher geschrieben, beide fanden rasch Anerkennung: Mit „Todesnachricht“ gewann sie 2010 den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis, „Ich wünsch mir eins“ kam unter die letzten Acht beim Mülheimer Dramatikerwettbewerb und ist nun bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater zu Gast.

Entstanden sind die Stücke in Hildesheim, als Mortazavi dort „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ studierte. Inhaltlich sind sie eng miteinander verknüpft: Arbeitete sich in „Todesnachricht“ die Tochter nach dem Tod des geliebten Vaters, eines Algeriers, an ihrer egoistischen deutschen Mutter ab, klammert sich bei „Ich wünsch mir eins“ eine junge Frau an eine Amour fou zu einem alten, abgebrannten Trinker und fügt ihn wie eine morsche Prothese in die Leerstelle, die der Vater hinterlassen hat. Die Mutter eine Deutsche, der Vater Araber, die Tochter eine Fremde im Land ihrer Geburt, in Deutschland. Sie strebt nicht nach Karriere, nach Selbstverwirklichung – sie wünscht sich ein Kind. Die Vehemenz, mit der diese temperamentvolle junge Frau einem doch sehr konservativen Familienwunsch nachgeht, auch das ist ungewöhnlich.

Eher konventionell erzählt sind diese Geschichten von der postmigrantischen Generation, und sie ähneln Mortazavis eigenem Leben: Ihr Vater stammt aus dem Iran, sie selbst ist in Witten bei Trier aufgewachsen, wohnt heute in Berlin, empfindet das Heimatland ihres Vaters aber als zweite Heimat. „Themen entstehen bei mir aus meiner Biografie heraus“, sagt sie, die Fantasie entwickelt Figuren und Geschichten dann weiter. Zum Schreiben gedrängt wird sie durch einen inneren Gefühlsdruck: „Irgendetwas treibt mich dann um, das Schreiben ist bei mir ein komplett emotionaler Prozess.“ Auch von „Wut“ als Antrieb spricht sie. Sieht man auf ihre Figuren, ist das evident. Der Autorin selbst jedoch merkt man diesen glühenden Wut-Kern kaum an – freundlich zurückhaltend wirkt sie im Gespräch, ihr Blick aus hellbraunen Augen ist sanft, fast zärtlich.

Sie sind immer noch selten im Theater, die Geschichten der Migranten in zweiter Generation, obwohl doch ein Viertel aller in Deutschland lebenden Menschen ausländische Wurzeln hat. Mortazavi möchte den Blick für diese Lebensgeschichten öffnen, ohne „dass man in eine bestimmte Ecke gestellt wird“. Und obwohl ihre Texte im familiären Kontext bleiben, so möchte sie doch, dass im Persönlichen auch das Politische wahrgenommen wird.

Dass ihre Stücke es trotz der Auszeichnungen im Theater nicht leicht haben, ist ihr bewusst: „Meine Texte bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Emotionalität und Sentimentalität. Vielleicht trauen sich Regisseure wirklich nicht, diese Emotionalität auf der Bühne widerzuspiegeln – vielleicht ist das aber auch nur meine Angst.“ Die Uraufführung von „Ich wünsch mir eins“ am Theater Osnabrück, die nun am Deutschen Theater gastiert, nennt die Autorin „sehr reduziert“. Die Regisseurin Annette Pullen muss sich durchaus den Vorwurf gefallen lassen, der Leidenschaft und dunklen Poesie des Textes nicht ganz vertraut zu haben. Die unverstellte Sprachkraft der Hauptfigur Leila dringt zwar noch durch den fast konstanten Popmusiksound, von der Verlorenheit, der Trauer und den Hoffnungen der Menschen ist allerdings nur wenig spürbar. Künftigen Mortazavi-Regisseuren wünschte man das unbedingte Zutrauen zu den Gefühlen und Fieberkurven, die diese Texte prägen. Nur mit kühlem Kopf ist ihnen jedenfalls nicht beizukommen.

Mit einem Werkauftrag der Wiener Wortstätten hat die junge Dramatikerin ihr drittes Stück schon so gut wie fertiggestellt. Auch hier geht es um den großen Erfahrungszusammenhang Migration. Daneben aber ist Azar Mortazavi vor allem mit zwei großen „Projekten“ befasst: Zum einen ist sie kürzlich Mutter geworden, zum anderen will sie an einem Roman über den Iran weiterschreiben, der sich an die Lebensgeschichte ihres Vaters anlehnt.