: Immer wieder Abschied
Nie gab es mehr Fernbeziehungen als heute, und nie waren die Zeiten dafür günstiger. Zwar ziehen die meisten Paare unfreiwillig auseinander – aber die Liebe auf Distanz hat auch ihre guten Seiten. Jedenfalls für einen begrenzten Zeitraum
VON MICHAEL AUST
Stefan und Claudia haben es nicht leicht. 7.800 Kilometer muss Stefan, 37, überbrücken, wenn er seine Frau Claudia, 40, sehen will. Sie lebt in Hamburg, er in Fort Myers, Florida. „Wenn ich weiß, Stefan landet gleich, und ich kann ihn endlich am Flughafen abholen, wird mir vor Aufregung jedes Mal ganz schlecht“, sagte Claudia Effenberg neulich zu Bunte. „Wenn wir dann zusammen sind, ist es wie im Paradies. Wer hat schon mehrere Autos, ein Motorrad, zwei Jetskis und eine kleine Jacht?“
Die Effenbergs mögen ganz eigene Probleme haben – was ihre Beziehung betrifft, sind sie kein Einzelfall. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland jede siebte Beziehung eine aus der Ferne ist, das wären vier Millionen Paare. Unter Akademikern ist der Anteil besonders hoch: Ein Viertel von ihnen führt – zumindest über einige Jahre – eine Wochenendbeziehung. Und die Zahl der Distanzlieben wird in den nächsten Jahren noch steigen.
Moderne Nomaden
Ein Blick in den Bekanntenkreis bestätigt die Statistik: Da ist dieser Typ, dessen Freundin gerade ein Praktikum in Südamerika macht. Und die Kollegin, die einmal im Monat zum Kuscheln nach London fliegt. „Fernbeziehungen sind eine der relevantesten Beziehungsformen der Gegenwart“, sagt der Theologe und Paarforscher Peter Wendl. „In Zukunft wird sowohl die Zahl der gewollten Fernbeziehungen als auch die Zahl der Paare, die gezwungenermaßen auf Distanz leben, zunehmen.“ Wendl hat zu dem Thema geforscht. Über tausend Paare hat er beraten, meist Soldaten der Bundeswehr, die sich für Auslandseinsätze gemeldet haben, und ihre Partner. Gerade erscheint die Neuauflage seines Buches „Gelingende Fern-Beziehung“.
Gründe dafür, dass sich die Zahl der Fernbeziehungen in den vergangen 20 Jahren verdoppelt hat, gibt es viele. Meist werden an dieser Stelle Schlagworte wie Flexibilität, Mobilität, Globalisierung genannt. Sie sollen beschreiben, unter welchen Bedingungen die Menschen der industrialisierten Welt im 21. Jahrhundert leben und arbeiten. Im Jahr 2004 Jahr gingen so viele Deutsche ins Ausland wie seit Gründung der Bundesrepublik nicht. Die Ausbildungszeit – jene Lebensphase also, in der man besonders flexibel sein muss – wird besonders bei Akademikern immer länger. Das Feuilleton sieht eine „Generation Praktikum“ heranwachsen, die durch unbezahlte Arbeit und Städte-Hopping auf ein Leben als Jobnomaden vorbereitet wird. „Wir sind jung und machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ hieß ein Song von Peter Licht aus dem Jahr 2001. „All you need is love“? Das war 1967.
Aber nicht nur die high potentials sind betroffen vom Phänomen Fernbeziehung. „Weil es im Osten auf weiten Flächen keine Arbeit gibt, sind auch Handwerker und Bankkauffrauen gezwungen, der Arbeit wegen in eine andere Stadt zu ziehen“, sagt Paarforscher Wendl. Früher waren das bodenständige Berufe. Besonders in den neuen Bundesländern ist die Bereitschaft der Menschen, wegen des Jobs umzuziehen, in den vergangenen Jahren gestiegen, bestätigt der Europaservice der Bundesagentur für Arbeit. Heute zieht ein Automechaniker aus Dessau für einen Job bereitwillig nach Regensburg oder Bern. Die Fernbeziehung wird als Kollateralschaden in Kauf genommen. Aber nicht nur die wirtschaftlichen Bedingungen sind günstig für Fernbeziehungen, auch die Möglichkeiten sind besser als je zuvor: Billigflieger fliegen für 29 Euro von Dortmund nach Rom, Telefonate nach Argentinien sind billiger als Ortsgespräche, und über die Software „Skype“ mit angeschlossener Webcam kann man den Partner sogar im lakandonischen Urwald live hören und sehen – vorausgesetzt, es gibt einen Internetanschluss. „Fernbeziehungen sind machbarer geworden“, sagt Wendl.
Liebe ohne Alltag
Das Hauptproblem ist natürlich das Fehlen der Nähe, der Mangel an Kommunikation, die unerfüllte Sexualität. „Was sind das nur für Menschen, die Beziehungen haben / betrachten die sich denn als Staaten? / Die berühren sich nicht, die entführen sich höchstens / enden wie Diplomaten.“ Eine Strophe aus einem der wenigen gelungenen Songs von Heinz Rudolf Kunze, die wie die Beschreibung einer Fernliebe klingt: Die Partner leben in verschiedenen Welten, einem je eigenen Alltag, der nach anderen Regeln funktioniert. Je länger man voneinander entfernt ist, desto mehr verliert man das Gespür dafür, wie der andere tickt. Die Paare versuchen das auszugleichen, meist durch regelmäßiges Telefonieren. „Das Telefon ist das Medium der Missverständnisse“, warnt Wendl. „Es gibt dieses berühmte ‚Du hast doch was!‘ am Telefon.“ Dabei ist meist nichts zwischen den Partnern, außer den Kilometern.
Amerikanische Studien haben ergeben, dass die Häufigkeit, mit der sich Paare treffen oder anrufen, kaum Einfluss darauf hat, wie lange eine Fernbeziehung hält. Eine positive Wirkung hat laut den Untersuchungen jedoch das Briefeschreiben. Ein handschriftlicher Brief oder eine Karte mit dem Satz „Ich freu mich aufs Wochenende!“ habe manchmal fast therapeutische Wirkung. Laut Wendl läuft eine Fernbeziehung immer in denselben Phasen ab. Zunächst fühlen sich die Partner isoliert, dann folgen Wut oder Trauer, später wird die räumliche Trennung akzeptiert und die Chance gesehen, die in der Freiheit liegt. In einer Fernbeziehung hat man viel Freiheit, aber auch immer den Partner in der Hinterhand. Man ist Single, ohne ständig den kategorischen Imperativ des Singledaseins befolgen zu müssen: Du musst dir eine Liebe suchen! Die Liebe gibt’s schon. Nur eben nicht hier.
Wenn sich die beiden dann am Wochenende treffen, wird die gemeinsame Zeit meist mit Erwartungen überladen. „Weihnachtseffekt“ nennt Wendl dieses Phänomen, das jeder kennt, der an Heiligabend seine Familie besucht. „Das Verarbeiten der getrennten Zeit dauert in etwa so lange, wie die Trennung gedauert hat. Viele Männer und Frauen erzählen, sie müssten sich erst wieder daran gewöhnen, wie der Partner sich anfühlt, wie er riecht“ sagt Wendl. Er rät Paaren, sich Rituale zu schaffen. „Wenn beide merken, dass sie beim Wiedersehen immer streiten, kann es helfen, immer erst mal eine Stunde spazieren zu gehen.“ Beim Abschied sollten lange, emotionale Abschiedsszenen jedoch vermieden werden. Besser sei es, sich für den Abend gleich schon etwas vorzunehmen: ein Treffen mit Freunden, einen Kinobesuch. Alles, was den Trennungsschmerz erst mal verdrängt.
Fernbeziehungen enden nicht schneller als Nahbeziehungen, auch das zeigen vergleichende Studien. Im Schnitt dauern sie drei Jahre. Dann ziehen die Partner entweder zusammen – oder trennen sich. In seinem Buch „Long Distance Relationship – The Complete Guide“ untersuchte der amerikanische Psychologe Gregory Guldner über 200 Beziehungen von Paaren, die im Durchschnitt 500 Kilometer entfernt voneinander wohnten. Im Vergleich dieser Paare mit in Nahbeziehung lebenden Paaren fand er heraus, dass sich beide Gruppen wenig voneinander unterscheiden. „Die Mehrzahl der Studien zeigt, dass in Fernbeziehungen das Risiko des Schlussmachens nicht größer ist als in anderen.“ Unterschiedlich groß ist aber die Furcht der Partner, dass der entfernte andere fremd geht. „Fernbeziehungspaare machen sich viel mehr Sorgen über Affären des anderen als solche, die geografisch nah beieinander wohnen.“
Du bist mir fremd
Die meisten Fernbeziehungspaare haben die Hoffnung, irgendwann mal zusammenzuziehen. „Jedes Paar braucht mittelfristig einen gemeinsamen Lebensentwurf“, sagt Paarforscher Wendl. „Mit dem Zusammenziehen beginnt aber erst die schwierige Phase der Fernbeziehung.“ Wenn die Euphorie des Wiedersehens vergangen ist, falle irgendwann unweigerlich der Satz: „Du bist mir fremd geworden.“ „Das Auseinanderleben hat jedes Paar. Das Spannende daran ist, dass sich neue Seiten an dem anderen auftun. Es wäre ja schlimm, wenn meine Freundin noch dieselbe wäre wie vor sieben Jahren.“
Claudia Effenberg hat vor kurzem einen Antrag auf eine Green Card gestellt. In zwei Jahren möchte sie in die Staaten ziehen, zu Stefan, dem Boot und den Jetskis. „Wir planen gerade ein neues Haus mit 900 Quadratmeter Wohnfläche“, verriet Stefan Effenberg in Bunte. Platz genug also, um sich auch mal aus dem Weg gehen zu können.