Melderegister verzerrt die Realität

ZENSUS 2011

Wohnungen fehlen, wenn sie fehlen

180.000 BerlinerInnen sind plötzlich weg. Dass man das nicht merkt, liegt nicht an den Touristen, die die Lücken geschickt auffüllen. Es liegt auch nicht daran, dass die Menschen nicht von heute auf morgen verschwunden sind, sondern dass die Statistik bisher falsch war. Sofern die Statistiker für den Zensus 2011 richtig gezählt haben.

Es heißt, nicht alle, die aus der Stadt weggezogen sind, haben sich beim Einwohnermeldeamt abgemeldet. Das ist zwar ein Verstoß gegen das Meldegesetz, aber gestört hat das keinen. Denn jeder Bürger ist für die Kommunen bares Geld wert. Und eine Sache ist ziemlich beruhigend dabei: Der Staat überwacht nicht als Big Brother alle BürgerInnen auf Schritt und Tritt. Er weiß ja nicht einmal, wie viele überhaupt hier wohnen.

Auf der anderen Seite hat der Zensus für Berlin handfeste negative Auswirkungen. Es gibt weniger Geld, eine Milliarde Euro weniger in diesem Jahr, da das Land Geld aus dem Länderfinanzausgleich zurückzahlen muss. Wohl zur Hälfte kann es aufgefangen werden durch Steuereinnahmen, die höher sind als geplant. Eine Lücke von um die 350 Millionen Euro jährlich hat der Finanzsenator für die kommenden Jahre berechnet. Neue Schulden soll es nicht geben. Woher also nehmen? SPD und Grüne fordern die Erhöhung der Grunderwerbsteuer.

Und natürlich muss schlicht noch mehr gespart werden. Da müsste sich doch was finden lassen, denn wenn es jetzt weniger BerlinerInnen gibt – muss dann nicht auch weniger Geld ausgegeben werden? Eher nicht. Denn der Bedarf ist offenkundig und hängt nicht von offiziellen Zahlen ab. Ein Schwimmbad ist überfüllt, wenn es überfüllt ist. Wohnungen fehlen, wenn sie fehlen. Bedürftige brauchen staatliche Leistungen, wenn sie bedürftig sind. Da spielt es keine Rolle, dass wir bisher dachten, dass wir in Berlin eigentlich mehr seien.

Und selbst der Basisdemokratie nützt es nichts, dass nun offiziell weniger Menschen in der Stadt wohnen. Der Energietisch braucht nach wie vor 173.000 gültige Unterschriften, damit es zum Volksentscheid über die Rekommunalisierung des Stromnetzes kommt. Denn das Quorum berechnet sich aus dem Melderegister. SEBASTIAN ERB