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Archiv-Artikel

Arbeitslose werden Unternehmer wider Willen

Seit über drei Jahren können Arbeitslose sich mit einer Ich-AG selbstständig machen. Viele tun das nicht freiwillig: Der Druck auf dem Arbeitsmarkt zwingt sie dazu. Doch selbst gute Ideen scheitern häufig, weil die Förderdauer zu gering ist

Noch immer gilt die Selbstständigkeit vielen als Königsweg auf der Suche nach beruflichem Glück. Doch wer in Berlin in den vergangenen drei Jahren eine Ich-AG gründete, hatte oft einen viel profaneren Grund. Häufig gab es zum freien Unternehmertum gar keine Alternative. „Ich hätte wahrscheinlich keinen Job als Angestellte gefunden“, sagt Cindy Villmann. Nach ihrer Ausbildung zur Fotografin war sie einige Monate arbeitslos, bevor sie sich vor einem Jahr selbstständig machte – mit einer Ich-AG.

Rund 15.700 Berliner erhalten derzeit einen Existenzgründungszuschuss, weil sie eine Ich-AG „sind“. Vor einem Jahr waren es noch rund 19.000. Ein Grund für den Rückgang seien die verschärften Förderungsbedingungen, sagt Olaf Möller, Sprecher der Regionaldirektion Berlin der Bundesagentur für Arbeit. „Seit 2005 muss man bei der Beantragung einen Business-Plan vorlegen“, so Möller.

Neue Anträge für die Förderung von Ich-AGs, die 2003 eingeführt wurde und auf drei Jahre angelegt ist, werden noch bis Ende Juni bewilligt. Danach sollen die beiden Förderinstrumente für Existenzgründer – Ich-AG und Überbrückungsgeld – zusammengelegt werden.

Monatlich 600 Euro bekommen Selbstständige im ersten Jahr. „Von der Unterstützung konnte ich ein paar grundlegende Sachen bezahlen“, sagt Fotografin Villmann. Zum Leben reicht der staatliche Zuschuss allein allerdings nicht. Sie ist trotzdem erfolgreich in die Selbstständigkeit gestartet, denn der langwierige Aufbau eines Kundenstamms blieb ihr erspart. „Ich hatte gleich von Anfang an regelmäßige Auftraggeber“, sagt Villmann.

Nie mehr angestellt

Heute fotografiert die 24-Jährige unter anderem für Kindergärten und Schulen. Nebenbei arbeitet sie an ihrer Mappe für ihr Berufsziel Werbefotografie. Gegen eine Festanstellung möchte sie ihre Selbstständigkeit nicht mehr eintauschen: „Ich verdiene mehr, kann Kontakte knüpfen und mir meine Zeit frei einteilen“, sagt Villmann. Reich wird sie dennoch nicht: Auch in diesem Jahr bekommt sie Förderung, weil sie 2005 weniger als 25.000 Euro verdient hat.

Anspruch auf Unterstützung hat auch Iman Kamel. Ihre Ich-AG will sie trotzdem aufgeben. Seit einem Jahr fördert der Staat ihre Idee, Videoprojekte an Schulen und sozialen Einrichtungen anzubieten. So sollen Kinder und Jugendliche den künstlerischen Umgang mit der Kamera lernen. Langfristig wollte sie sogar eine Filmschule aufbauen. Funktioniert hat es nicht. „Der Unternehmensmechanismus geht davon aus, dass die Zielgruppe die Dienstleistung auch bezahlen kann“, sagt Kamel. „Aber das ist bei Kindern und Jugendlichen natürlich nicht der Fall.“

Deshalb hat sie versucht, öffentliche Gelder einzuwerben – ohne Erfolg. „Ich habe auch meine eigenen Ressourcen genutzt. Aber die sind jetzt alle“, sagt Kamel. Von den 600 Euro im Monat habe sie gerade einmal ihre Versicherungen und einen Teil der Betriebskosten bezahlen können, kritisiert die Filmemacherin. Auch die Anlaufzeit für das Projekt sei zu kurz gewesen. Ein Förderinstrument, das sie nach dem Scheitern ihrer Ich-AG nutzen könne, gebe es nicht. Also wird die 42-Jährige wieder Arbeitslosengeld bekommen.

Auch Rüdiger Schulz lebt in prekären Verhältnissen. Dabei hatte er vor drei Jahren eine Idee, die durchaus innovativ war. Als „Autokumpel“ berät der gelernte Kfz-Mechaniker seine Kunden beim Kauf von Gebrauchtwagen. Dafür verlangt er eine kleine Gebühr. Außerdem bekommt er eine Provision, wenn er den Kaufpreis herunterhandeln kann.

Stammkundschaft fehlt

Die Agentur für Arbeit fand die Idee gut und unterstützte ihn sechs Monate mit Überbrückungsgeld. Genutzt hat es nichts: „Betriebswirtschaftlich war das Unternehmen ein Flop, weil ich keine Stammkundschaft habe“, sagt Schulz. Heute schlägt er sich mit wechselnden Jobs durch. Der „Autokumpel“ ist für ihn ein kleines Zusatzgeschäft. Was aus seiner Geschäftsidee geworden ist, hat die Arbeitsagentur nie gefragt. Sprecher Möller bestätigt, dass es nach Ende der Förderung keine Erfolgskontrolle gibt. „Das ist eine peinliche Lücke“, findet Schulz, „etwas zu finanzieren, wovon man die Auswirkungen überhaupt nicht kennt.“ MARTIN REISCHKE