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Archiv-Artikel

Zerstörte Vielfalt reloaded

GEDENKEN 1993 wurden „Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel“ in Berlin eingeweiht. Heute zeigt sich ein erschreckender Umgang mit der NS-Vergangenheit

Außer Projektnamen und Lageskizze gibt es keine weiteren Informationen

Vor 20 Jahren, am 11. Juni 1993, wurde das von Renata Stih und Frieder Schnock entwickelte Denkmal „Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel“ eingeweiht. Es handelt vom Schicksal jener 6.000 Schöneberger Bürger, die nach 1933 als Juden erst diffamiert, dann entrechtet und schließlich mörderisch verfolgt wurden. Dass das Künstlerpaar mit ihrem Mahnmal 1993 auf ganz besondere, geradezu revolutionäre Weise an dieses Unrecht erinnerte, machte dieses schnell weltbekannt.

Wie revolutionär das Konzept war, kein Monument zu gestalten, sondern direkt in den Stadtraum einzugreifen, lässt sich daran ermessen, dass die Anwohner die Polizei riefen, als die Künstler die ersten 17 von insgesamt 80 Metalltafeln im Format 50 mal 70 Zentimeter an den Straßenlaternen im Viertel anbrachten. Sie glaubten sich mit antisemitischer Propaganda konfrontiert. Doch was sie sahen, war mehr als das: Auf der einen Seite sind die Tafeln mit signethaften Illustrationen bedruckt, während die andere Seite Gesetzestexte aus den Jahren 1933 bis 1945 zitiert. So informiert das Bild eines Radios oder eines Hundes darüber, ab welchem Zeitpunkt es Juden verboten war, ein Radio zu besitzen oder ein Haustier zu halten. Nein, es fing nicht harmlos an, sondern gleich unmenschlich.

Nachhaltige Wirkung

Das Denkmal hat bis heute nicht an Wirkung verloren. Freunde von mir, die vor kurzem in die Meraner Straße gezogen sind, staunen immer wieder, wie viele Besuchergruppen sie in ihrer Straße beobachten. „Bei der Auswanderung dürfen Schmuck und Wertsachen nicht mitgenommen werden“ lautet die Verordnung vom 16. Januar 1939, vor der sie von ihrer Wohnung aus die Exkursionen sehen. Und an der nächsten Straßenecke heißt es dann „Reisepässe von Jungen müssen mit einem ‚J‘ gestempelt werden. Pässe von Juden, deren Ausreise unerwünscht ist, sind zu beschlagnahmen“, erlassen am 5. Oktober 1938.

Nun organisiert Berlin gerade ein Themenjahr, das unter dem Titel „Verlorene Vielfalt“ die Auseinandersetzung mit der von den Nationalsozialisten nach 1933 zerstörten gesellschaftlichen Vielgestaltigkeit der Stadt befördern möchte. Das 20-jährige Jubiläum des Schöneberger Denkmals hier besonders gewürdigt zu sehen, erscheint selbstverständlich. Schon, weil es die Art und Weise, in diese Auseinandersetzung einzusteigen, ungeheuer inspiriert hat. Doch dem ist nicht so. Zwar ist auf der Website von „Zerstörte Vielfalt“ neben dem Signet des Themenjahrs – einem roten Kreuz, wie man es macht, wenn man etwas durchstreicht – der Satz zu lesen: „Du darfst kein Haustier mehr haben“. Aber einen Hinweis auf den Ursprung dieses Satzes, die Verordnung vom 15. Februar 1942, „Juden dürfen keine Haustiere mehr halten“, die Stih und Schnock in ihrem Erinnerungsprojekt zitieren, gibt es nicht.

Unter dem Stichpunkt „Ausgewählte künstlerische Auseinandersetzungen“ sind die „Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel“ erst gar nicht aufgeführt. Doch auch mit den dort aufgelisteten anderen Projekten wird übel verfahren. Außer dem Namen des jeweiligen Projekts und einer Lageskizze gibt es keinerlei Informationen und weiterführende Links. Was kann man sich unter „The Missing House“ oder „Der verlassene Raum“ vorstellen? Weder ist zu erfahren, welcher Künstler oder welche Künstlerin für das Projekt verantwortlich zeichnet, noch welches Konzept und welche Intentionen ihm zugrunde liegen. Eine Information allerdings wurde nie vergessen: „Copyright Topographie des Terrors“.

Das Motto des Themenjahres, „Verlorene Vielfalt“, bekommt damit, so muss man leider sagen, wieder seinen bekannten, unerfreulichen Sinn.

BRIGITTE WERNEBURG