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Archiv-Artikel

Wirtschaftsfaktor Natur

2006 ist das Jahr der Naturparke. Der Landschaftsökologe Professor Michael Succow sieht Naturparke als Motor für die Entwicklung des ländlichen Raums und touristisches Kapital

INTERVIEW NICK REIMER

taz: Herr Professor Succow, der Bundespräsident hat 2006 gerade zum Jahr „Jahr der Naturparke“ erklärt. Finden Sie das gut?

Michael Succow: Auf jeden Fall. Naturparke sind wichtig für die Erholung, wichtig für regionale Entwicklung. Ganz besonders wichtig sind sie aber für den Naturschutz.

Hätte der Bundespräsident nicht einfach ein „Jahr des Naturschutzes“ ausrufen können?

Das gibt es doch sowieso schon jedes zehnte Jahr. Nein, ein Jahr der Naturparke stellt diese sehr spezielle Form des Naturschutzes in den Mittelpunkt. Naturparke sind eben anders als Nationalparks oder Biosphären-Reservate: Neben dem Naturschutz geht es um Erholung, um den Erhalt historischer Nutzungsformen, um Entwicklungskonzepte für den ländlichen Raum. Platt gesagt: Es geht um die Erhaltung der klassischen Dörfer.

Naturschutz ist also nicht so wichtig – Hauptsache, die Dörfer blühen?

Nein: Mir ist wichtig, die Kulturlandschaft Dorf – oft in tausend Jahren entstanden – in ihrer Funktionalität zu erhalten. Nur dort gibt es den Arbeitsplatz Landschaft: Die klassischen Bauern sind per se wunderbare Naturschützer.

„Klassische“ Bauern – wen meinen Sie damit?

Früher waren auf 1.000 Hektar mindestens 100 Menschen beschäftigt. Heute lassen sich diese 1.000 Hektar dank des neuesten Standes der Technik problemlos mit drei Arbeitskräften bewirtschaften – einem Agromanager, zwei Maschinenführern. Mechanisierung, Rationalisierung, Chemieeinsatz – solche Landwirtschaft hat maximierte Landschaft zur Folge. Ein Verbrechen nicht nur an der Landschaft, das macht auch die Dörfer kaputt.

Warum?

Weil den Agrarmanager nur interessiert, wie er mit noch weniger Menschen noch mehr Fläche bewirtschaften kann. Die Dorfgaststätte ist ihm genauso egal wie das Dorffest oder der Dorftrottel. Der hatte früher als Kuhhirt seinen Platz. Heute ist er in irgendeiner Anstalt eingesperrt.

Ein Drittel Brandenburgs ist heute mit Naturparken bedeckt – deutschlandweit Spitze. Wie sieht das Erfolgsrezept Brandenburgs aus?

Erste Komponente des Erfolgs: Matthias Platzeck. Der hat als Umweltminister so genannte Manager des ländlichen Raums eingeführt – Experten, die aus Sicht des Naturschutzes regionale Entwicklungskonzepte erarbeiten. Zweite Komponente: Brandenburgs Boden. Nach EU-Kriterien eignen sich gerade mal 15 Prozent für die hoch mechanisierte Landwirtschaft. Das heißt im Umkehrschluss: 85 Prozent Brandenburgs hat keine agrochemische Struktur. Drittens kann man dort bestens Naturschutz und Erholung verbinden: Die Städter aus Berlin zieht es raus zum Reiterhof, zum Naturlehrpfad und in den urigen Bauernstall.

Seit der deutschen Wiedervereinigung sind etwa 70 neue Naturparke entstanden. Woher der Erfolg?

Erstens: das Bundesnaturschutzgesetz. Das besagt, dass im Naturpark die Natur geschützt ist. Zweitens: das Bundesnaturschutzgesetz. Naturparke sind eben nicht so streng geschützt wie beispielsweise Nationalparke oder Biosphären-Reservate. Das heißt: Neben dem Schutz der Natur ist auch ihre Vermarktung möglich. Naturparke haben sich vielerorts als starker Wirtschaftsfaktor etabliert.

Ist das nicht gefährlich?

Nicht, wenn es vernünftig gemacht wird. In Ostdeutschland sind die Naturparke überall den Landesumweltministerien unterstellt. Das bedeutet: Ein Gesamtnutzungskonzept wird immer aus der Perspektive des Schutzes entwickelt. Im Westen Deutschlands gab es leider manche Fehlentwicklung: Hier unterstehen manche Naturparke nicht dem Landesumweltministerium, sondern einem Tourismusverband oder einem Landrat. Die aber werden naturgemäß die Vermarktung über den Schutz stellen, um die Entwicklung ihrer Region anzukurbeln. Das kann natürlich ein paar Jahre gut gehen. Meistens aber hat die zu schützende Natur bleibende Schäden davongetragen.

Zum Beispiel?

Nehmen Sie Rügen. Wir hatten vor, die Insel zu einem Naturpark zu entwickeln. „Bloß kein Naturschutz, dann kann man ja gar keine Hotels mehr bauen“ – leider waren die großen Geschäftemacher schneller. Und auf die hörte Angela Merkel – die hier ihren Wahlkreis hat – genauso wie der Landrat der CDU. Heute, zehn Jahre später, haben wir ein riesiges Brückenbauprojekt, riesige Autobahnprojekte, riesige Besucherströme. Und riesige Naturprobleme. Die wiederum nicht ohne Folgen für die Tourismuswirtschaft bleiben werden: In eine zerstörte Natur fahren keine Touristen.

Augenscheinlich bremsen beim Naturschutz oft die Konservativen. Woran liegt das?

Vielleicht ist das gar nicht das Konservative, sondern das Christliche. Erwin Kräutler, der Bischof im brasilianischen Regenwald, hat mir gerade seine Probleme erzählt: Die Land- und Latifundienbesitzer fordern von ihm, endlich seine Sympathie für die Indios aufzugeben. Die Landbesitzer glauben, gute Argumente zu haben: Sie seien es schließlich, die hart arbeiteten, die Landschaft eroberten, Landschaft kultivierten. Das ist symptomatisch: In der christlichen Welt geht es dem Menschen immer nur darum, sich Natur zum Untertan zu machen.

Kirgisiens Präsident empfängt Sie, Chinas Umweltminister sucht Ihren Rat, Kasachstan bittet Sie um Hilfe, und für Ihren Sachverstand und Ihr Engagement wurden Sie mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Hat die neue Bundesregierung schon mal Ihren Rat gesucht?

Nein. Ich habe zwar ganz gute Kontakte in die Parteien hinein. Naturschutz ist aber leider auf der politischen Agenda nicht präsent. Agrarlobby, Atomlobby, Konsumlobby – unsere Gesellschaft ist fest in Lobbyhand. Naturschutz aber – das ist offensichtlich – hat keine Lobby.