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Archiv-Artikel

Sprengstoff in der Taschenlampe

NSU-PROZESS Der Angeklagte Carsten S. berichtet überraschend neue Details: So könnte ein weiterer Sprengstoffanschlag in Nürnberg auf das Konto der Terrororganisation gehen

1999 vermutete niemand hinter dem Rohrbombenanschlag den NSU

AUS MÜNCHEN MARLENE HALSER UND ANDREAS SPEIT

Der Angeklagte Carsten S. hat „reinen Tisch“ gemacht. Es ist der vierte Verhandlungstag, an dem der Sozialpädagoge, 33, im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht aussagt. Er muss sich dort als mutmaßlicher Helfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ wegen Beihilfe zum Mord verantworten.

Er hatte Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Waffe beschafft, mit der sie mutmaßlich neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft ermordeten. Das war bekannt. Seit Dienstag aber berichtet S. von neuen Details.

Als Carsten S. die Tatwaffe im März 2000 an die Neonazis übergab, haben Mundlos und Böhnhardt offenbar eine Andeutung gemacht, die auf einen weiteren bislang noch nicht mit den Taten des NSU in Verbindung gebrachten Anschlag hindeuten. Einer der beiden Uwes habe ihm erzählt, sie hätten „in Nürnberg in irgendeinem Laden eine Taschenlampe hingestellt“. Mit dieser Information habe er zunächst nichts anfangen können, wie S. am Mittwoch auf die bohrenden Nachfragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl betonte. Erst „am Abend im Bett“ sei ihm dann der Gedanke gekommen, dass die beiden Sprengstoff in eine Taschenlampe eingebaut haben könnten. „Die waren wegen der Bombenwerkstatt untergetaucht“, sagte S.: „Irgendwie habe ich das gedanklich in Zusammenhang gebracht.“

Tatsächlich hatten die Nürnberger Nachrichten 1999 über einen Rohrbombenanschlag in einer türkischen Gaststätte berichtet. In der Pilsbar eines türkischen Betreibers sei eine Bombe explodiert, die wie eine Taschenlampe ausgesehen habe, heißt es in dem Bericht. Damals vermutete aber niemand einen rechtsextremen Hintergrund. Die Bombe hatte nur geringe Sprengkraft.

Die Methode, heimlich einen kleinen Sprengsatz zu platzieren, passt zu den bislang bekannten Taten des NSU. Am Mittwoch präzisierte Carsten S. seine Aussagen vom Dienstag und berichtete, dass einer der beiden Uwes gesagt habe, der Anschlag habe nicht geklappt. Was genau damit gemeint war, konnte S. nicht sagen. Fraglich ist, warum die Behörden den Nürnberger Anschlag bislang nicht mit den Taten des NSU in Verbindung brachten. Nachdem die Existenz des NSU aufgeflogen war, hatten die Behörden die Vorgabe, alle ungelösten Altfälle an den Generalbundesanwalt zu melden. Noch eine Aussage von Carsten S. wirft Fragen auf. Nach der Waffenübergabe habe ihm der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben erzählt, dass Böhnhardt und Mundlos jemanden angeschossen hätten. „Ich habe mit Wohlleben telefoniert, und Wohlleben hat gelacht und gesagt, die haben jemanden angeschossen.“ Er habe sich gedacht, hoffentlich nicht mit der Waffe, die er beschafft hatte. Auch diese Aussage präzisierte S. am Mittwoch. „Ich habe in Erinnerung, dass es ein Wachmann war“, sagte er. Konkret wisse er das aber nicht. Bei seinen Überlegungen habe er den Vorfall „in Richtung Banküberfälle eingeordnet“. Der Grund: Die Geldbündel, die er für die Ceska erhielt, hätten aus „kleinen Scheinen“ bestanden und seien mit Banderolen umwickelt gewesen. „Kleine Scheine, die können ja nur aus Banküberfällen stammen.“

Was sich hinter dem Zwischenfall verbirgt, ist unklar. Ein Banküberfall, der dem Trio zugeordnet wird und bei dem ein Anwesender angeschossen wurde, fand nach bisherigem Kenntnisstand erst 2006 statt. Möglich ist, dass sich das Gespräch von Wohlleben und S. auf den Mord an dem Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek bezieht. Simsek wurde am 9. September 2000 erstes mutmaßliches Opfer. Er erlag zwei Tage später seinen schweren Verletzungen.