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Archiv-Artikel

Im Brustton der Überzeugung

TUNESIEN Gericht verhängt Haftstrafen gegen drei Femen-Aktivistinnen aus Frankreich und Deutschland. Sie hatten vor dem Gerichtspalast von Tunis ihre Brüste entblößt

„Das soll nicht sexuelle Erregung auslösen, sondern es ist politischer Aktivismus“

MARGUERITE STERN, ANGEKLAGTE

VON REINER WANDLER

MADRID taz | Sie wollten mit ihrem Oben-ohne-Protest vor dem Gerichtspalast in Tunis ihre Solidarität mit der inhaftierten tunesischen Femen-Aktivistin Amina Sboui „Tyler“ ausdrücken. Jetzt müssen die Französinnen Pauline Hillier und Marguerite Stern sowie die Deutsche Josephine Markmann selbst hinter Gitter. Die drei jungen Frauen wurden am Mittwoch des „unsittlichen Verhaltens“ für schuldig befunden und zu vier Monaten und einem Tag Haft verurteilt. Nackte Brüste als Protestform und die Gewohnheiten in einem muslimischen Land gehen nicht zusammen, befand der Richter.

„Ich bin am 28. Mai eingereist, um meine politische Unterstützung für Amina zum Ausdruck zu bringen. Wir haben uns im Internet verabredet“, hatte Markmann vor Gericht ausgesagt. Am Tag nach ihrer Einreise hatten sie ihre Protestaktion gemacht und waren festgenommen worden.

Die Deutsche war während des Prozesses, wie ihre beiden Mitangeklagten auch, von Kopf bis Fuß mit einem weißen Schleier verhüllt. Das tunesische Recht schreibt diese Kleidung für Frauen vor Gericht vor. „Unsere Brüste zu entblößen soll nicht sexuelle Erregung auslösen, sondern es ist eine Form des politischen Aktivismus“, versuchte Stern den Richter davon zu überzeugen, dass die Femen-Aktion unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fallen müsse.

Der Richter schenkte den Anwälten von einem Dutzend islamischer Frauenorganisationen mehr Gehör. Diese wollten als Nebenkläger auftreten. Obwohl das Gericht dem nicht stattgab, durften sie ihre Argumente vortragen. „Eine freie Frau hungert eher, als dass sie dank ihrer Brüste isst“, zitierte einer der Anwälte ein arabisches Sprichwort. „Der Islam ehrt die Frau und gibt ihr die Freiheit und zwingt sie nicht, sich zu entkleiden“, fügte einer seiner Kollegen hinzu. Die Aktion der drei sei ein „Angriff auf die Identität Tunesiens“.

Das Geburtsland des „Arabischen Frühlings“ wird seit den ersten freien Wahlen von konservativen Islamisten regiert, die immer wieder versuchen, die Rechte der Frauen einzuschränken. Die Auseinandersetzung um Femen ist längst zum Symbol für Tunesiens Kampf der Kulturen geworden.

Alles begann, als Amina Tyler im März Topless-Fotos ins Netz stellte. „Mein Körper gehört mir, er ist niemandes Ehre“ und „Fuck your morals“ hatte die erste arabische Femen-Aktivistin auf ihre Brüste geschrieben. Mitte Mai wurde sie im zentraltunesischen Kairouan verhaftet, als sie in der Nähe eines Friedhofes das Wort „Femen“ auf eine Mauer schrieb. Sie hatte sich ausgerechnet den Tag ausgesucht, an dem radikale Salafisten ein verbotenes Jahrestreffen in der Stadt abhalten wollten. Bei ihrer Verhaftung führte Amina einen Kanister Tränengas zu Selbstverteidigung mit sich. Dafür drohen ihr jetzt bis zu sechs Monate Haft und für die Parole auf der Mauer bis zu zwei Jahre, falls der Richter dies als „Verletzung eines heiligen Ortes“ wertet. Mit einer milden Haltung des Gerichts ist kaum zu rechnen. „Die Strafe ist extrem hart ausgefallen“, beschwerten sich die aus Frankreich angereisten Anwälte der jetzt verurteilten Europäerinnen. Es stelle „einen schweren Verstoß gegen die Meinungsfreiheit“ dar.

Die ukrainische Zentrale von Femen kündigte weitere Aktionen an und „beglückwünscht“ in einem Kommuniqué die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande für ihren „großen diplomatischen Erfolg“. Beide hatten ein faires Verfahren angemahnt. „Treffen Sie sich weiter mit Diktatoren, schütteln sie deren Hände. Küssen Sie ihre Münder und geben Sie ihnen Geld!“, heißt es in der Erklärung.