: „Ich bin die Liebe auf den dritten Blick“
Der Schauspieler Gustav Peter Wöhler verkörpert nicht nur im Film „Urlaub vom Leben“ den klassischen Helden im Hintergrund – nur als Sänger ist er noch besser
VON JAN FEDDERSEN
Ärgert es ihn nicht, dass man seinen Namen kaum kennt? Gustav Peter Wöhler. Wöhler? Wer, bitte? Der Mann lacht hastig und sagt, „nein, aber die Leute erkennen mich inzwischen oft“. Das wäre ja auch ein Wunder, wenn es anders wäre, denn so häufig, wie der Hamburger Schauspieler schon in Filmen und im Fernsehen zu sehen war, ist vielleicht sein Name wenigen geläufig, aber sein Gesicht, seine Art, das Leise zu spielen, das Lakonische, Selbstbehauptende, das alles hat sich gewiss eingeprägt. „Ach, der ist das“, heißt es dann, wenn man ein Bild von ihm zeigt.
Wöhler trägt diese Differenz um seine Bekanntheit mit Würde. „Ortrud hat mir mal gesagt, Gustav, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, du bist ein Mann für die Jahre ab vierzig.“ Nun ist der Schauspieler und Entertainer 49, lebt zufriedener denn je, wie er sagt, in Hamburg, und erinnert sich gern an seine Mentorin und Kollegin Ortrud Beginnen. Die Diseuse und Kabarettistin verkörperte in den Siebziger- und Achtzigerjahre das Beste am deutschen Vortragswesen – schräg, bizarr und für keinen politisch korrekt ziehenden Karren zu gebrauchen. Verfremdete die deutsche Nationalhymne ins Sägende, lästerte über die Gemütsamkeit der Recken der Achtundsechzigerjahre und brillierte mit Küchenliedern nebst einem Buch, das „Manuskripte aus dem Katastrophenkoffer“ hieß und Punk vor der Zeit trieb.
Was Wöhler mit seiner verstorbenen Kollegin gemein hat, ist eine fast natürliche Neigung zur Figur des Unscheinbaren. Wie die des Rolf Köster in dem Film „Urlaub vom Leben“. Ein verheirateter Mann, seine Gattin Lehrerin, der im Leben seiner Familie mit den zwei Kindern keine andere als die Rolle des Mitessers und wie zufällig Mitlebenden spielt. Ein Sparkassenkassierer ohne besondere Attitüden, pünktlich, korrekt, zuverlässig. Bis zu jener Minute jedenfalls, an dem der Körper rebelliert, die Luft zum Atmen dünner wird und irgendetwas anders werden muss. Wie viel Rolf Köster ist ihm selbst drin? „Ich weiß es nicht, aber ich habe ein Herz für diese Männer, die nicht genau wissen, wie sie leben sollen, die nur ahnen, dass irgendetwas an ihnen vorbeifließt – aber diese Gefühle nicht genau bestimmen können.“ Das ginge doch den meisten Menschen so: „Im Leben etwas zu ändern, fängt doch bei den meisten nicht mit einem Knall an, sondern sacht, unwiderstehlich und ohne besonderes Ereignis.“
Rolf Köster – hat er sich diesen Namen ausgesucht, ehe er Regisseurin Neele Leana Vollmar zusagte, für deren Nachwuchsfilm die Hauptrolle zu übernehmen? „Nein, das war reiner Zufall. Aber warum sollte ich etwas gegen den Namen haben? So heißen doch viele – und leben damit.“ Wöhler ist beim Regievolk für seine Präzision bekannt. In seinem Gesicht, heißt es, spiegelt sich mehr Ambivalentes in einer Filmsekunde, als andere Mimen das in Stunden hinbekommen. Tatsächlich lebt auch der gebürtige Bielefelder, Spross einer Kneipenwirtsfamilie, erst vor der Kamera richtig auf, alles taut auf – und aus einem flüchtigen Lächeln erwächst ein bitterer Zug der Enttäuschung. Ebenso, wie er in seiner Szene, in der er erfährt, dass seine Frau ein Verhältnis mit deren Chef hat, plötzlich von gewissem Zorn erfasst wird: Na, der werd ich es zeigen.
Mit Wöhler kann sich insofern jeder identifizieren: So einer wie er ist fast jeder. Ein dicker, runder, irgendwie zum Leben verurteilter Mann, der ständig hin und her geschubst zu werden scheint und doch nicht klein beigeben will. Als Rolf Köster lässt er sich in „Urlaub vom Leben“ auf die etwas schrullige Hobbytaxifahrerin ein, gespielt von Meret Becker. Aus Skepsis ihr gegenüber erwächst Respekt, schließlich Interesse: Einleuchtender hat man einen Wechsel von Angst vor weiten Horizonten zum Mut, sie ins Visier zu nehmen, selten gesehen. „Ich bin hier eigentlich zuständig für den Hintergrund“, sagt Familienvater Köster – und Wöhler sekundiert: „Ja, das bin ich in meinem Beruf in gewisser Weise auch“ – und lacht bei diesem Satz kurz auf.
Angefangen hat er als 16-Jähriger als Mitglied einer Band, weil „ich den Gesang mehr liebe als die Schauspielerei“ – wie seine Mutter mochte er als Kind die Operetten, den Glamour der kleinen Form. Nach der Schauspielschule in Bochum und Lob für seine feine Art, das Fach der Rampensau eher scheu auszufüllen, kam er 1982 als festes Ensemblemitglied ans Hamburger Schauspielhaus. Keine schlechte Karriere, schon damals. Schließlich die Filme, zunächst unter Horst Königstein in „Hamburger Gift“ in den frühen Neunzigern, in der „Staatskanzlei“, später in Hilsenraths „Der Nazi und der Frisör“, auch in Doris Dörries „Erleuchtung garantiert“. Sein Spektrum war nie das Skurrile – seine Magie, wenn man so will, wird spürbar gerade in Rollen, die ihn als ernsten, absolut ironiefreien Mann zeigen. Als Tango tanzender Lehrer, als Nazifunktionär oder auch als Wunschfee, die er in der „Sesamstraße“ gab.
Wöhler sagt, seine Eltern wären bestimmt stolz auf ihn. Beide leben nicht mehr, aber ihr Sohn auf Bühnen, die größer sind als die in der Kneipe, die sie führten, „das würde sie mächtig freuen“. Okay, der Vater wäre nicht so erfreut, würde er erfahren, dass er schwul ist, „der hätte mich echt vermöbelt“, aber „Liebe ist Liebe, da ist kein Familienkraut gewachsen“, sagt Gustav Peter Wöhler, „und in dieser Hinsicht ging es mir nicht schlecht.“
Er mag eben die kleinen Verhältnisse und ihre so genannten kleinen Leute, die Unauffälligen, die rackern und ackern. So ganz ist ihm die Position auf der Bühne nicht geheuer, „ich wäre völlig zufrieden als Kritiker“. Nicht, um irgendetwas schlecht zu machen, aber um das Projekt, ob Film oder Musik, „als Ganzes zu sehen“. Und: „Ich sehe nie den schauspielerischen Grund, ich sehe nur, was da stattfindet.“ Was sähe er, nähme er sich selbst in den Blick? „Einen Mann, dem man schauspielerisches Talent nachsagt, aber einen, der sich für den besseren Sänger als Schauspieler hält.“ Der mit seiner Combo durch die Lande tingelt und Beifallsstürme erntet – gerade von Frauen: „Die lieben mich vielleicht, weil ich meinen Körper ernst nehme, weil ich ihn liebe und nicht wie einen Feind nehme.“
Und weshalb spielt er so gerne die kleinen Leute, die Sparkassenkassierer wie Rolf Köster, die plötzlich an Brechreiz leiden und bei denen doch nichts organisch falsch ist? Weil er es kann? Er überlegt zwei bis drei Momente und sagt: „Ich nehme solche Rollen als Ehrgeiz, selbst aus den Fiesesten noch Wärme herauszuholen. Seelisch wie vom Herzen. Weil ich auch diese Figuren liebe. Um sie annehmen zu können, sie besser zu begreifen.“ Weshalb? Umgehende Antwort: „Ich glaube nicht nur an das Schlechte im Menschen.“
Womit kann man ihn kränken – mit seiner Lust am Essen? Nein, das nun schon gar nicht. „Wenn ich mit jemandem essen gehen will und der sagt, ich nehme einen Salat, würde ich am liebsten absagen. Salat ist doch kein Essen! Aber wenn man sagen würde, der Wöhler ist fett und dreist und dumm, das würde mich treffen. Das sind Gehässigkeiten, die über alles hinweggehen, was Menschen unter der Oberfläche tragen.“ Und wovor hat er Angst – vor dem Versiegen der Rollenangebote? „Nein, eigentlich nicht. Ortrud wird schon Recht gehabt haben – meine Zeit ist jetzt. Ich bin die Liebe auf den dritten Blick.“
Was er fürchtet, ist schwieriger zu beantworten. „Geschlagen zu werden, Opfer von Gewalt zu werden, die hatte ich schon als Kind. Sich nicht wehren können und dass niemand einen beschützt, das ist Horror für mich.“ Und was er auch nicht schätzt, ist so ein gewisses Kritikertum, das sich um die Rolf Kösters dieser Welt nicht schert. Das überall nur Kunst sehen möchte und die eigene Arroganz nicht im Blick haben kann. „Die gehen mir nicht nur auf die Nerven, die gehen mir unangenehm unter die Haut. Leute, die nicht hingucken, die keinen Sinn für Details haben.“
Wöhler wird vermutlich noch mehr Rollen bekommen. Echte Fieslinge fehlen ihm noch in der Sammlung, Charaktere, die böse angelegt sind, die könnte er perfekt spielen. Momentan tourt er mit seiner Band und bekommt Beifall. Verdienten Beifall.