CSD politisch wie lange nicht mehr

Der als kommerziell und unpolitisch verschriene Christopher Street Day schließt die CDU von seiner Parade aus, der Transgeniale* CSD sagt sich aus politischen Gründen zur Hälfte selbst ab: Lange war der CSD in Berlin nicht mehr so politisch

Dyke March

Demonstration für mehr Sichtbarkeit von Lesben, am 21. Juni, Start: 21 Uhr, Frankfurter Tor

„Großer“ CSD

22. Juni, 12 Uhr, Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße

Transgenialer* CSD

22. Juni, Start: 14.30 Uhr Platz der Luftbrücke bis Mariannenplatz, dort ab 18 Uhr Abschlusskundgebung, Infos im Netz:

transgenialercsd.blogsport.de

Ende April sorgte der Berliner CSD e. V. für einen Eklat: Teilnahme CDU? Untersagt – wegen der Anti-Homo-Ehe-Politik und der „zunehmend polemischen, diffamierenden und verhetzenden Äußerungen zahlreicher CDU-PolitikerInnen in den letzten Monaten“. Viele atmeten auf: Endlich zeigt der CSD klare Kante und wird dem eigenen politischen Anspruch gerecht! Noch größer aber war die Entrüstung: „Das CSD-Komitee spielt Politbüro“, schrieb der Tagesspiegel, auf Facebook hagelte es wütende Kommentare, sogar Die-Linke-Landeschef Klaus Lederer sagte, er sei grundsätzlich gegen den Ausschluss – und wies darauf hin, dass die CDU-Politik in dieser Sache ja nicht neu sei. Am weitesten ging Ralf Fröhlich vom FDP-Verband „Liberale Schwule und Lesben (LiSL)“: Bei einer Podiumsdiskussion Anfang Mai nannte er den CDU-Ausschluss „Zensur“ und rückte ihn in die Nähe der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen von 1933. Das war eine überflüssige Entgleisung, aber endlich diskutierte die Berliner Homo-Community, was Politik für Lesben und Schwule bedeutet.

2013 spielt Politik beim „großen“ CSD eine wichtigere Rolle als zuletzt: Teilnehmen dürfen nur noch Wagen mit Community-Bezug. Große Unternehmen wie Red Bull oder die Lufthansa dürfen nur noch als Sponsor auftreten – und auch dann höchstens 30 Prozent der Wagenfläche für Werbebanner nutzen. Außerdem muss jeder Wagen das kämpferische CSD-Motto „Schluss mit den Sonntagsreden! Demonstrieren! Wählen! Verändern!“ und gern weitere politische Forderungen thematisieren.

Mit dem im Rahmen der CSD-Parade verliehenen Zivilcouragepreis ehrt der CSD die ugandische Aktivistin Kasha Jacqueline Nabagesera, den Berliner Community-Rechtsanwalt Dirk Siegfried und den Staat Argentinien, der seit Mai 2012 das weltweit fortschrittlichste Transgender- und Transsexuellengesetz hat. Die Abschlussparty des CSD ist den verfolgten Lesben und Schwulen von Russland gewidmet.

Hut ab so weit! Wobei der „große“ CSD trotzdem vor allem Party sein wird, und die CDU ist mit den „Lesben und Schwulen in der Union“ (LSU) dann doch dabei – die dürfen, weil sie für die Homo-Ehe sind – und das ist zwar kein besonders progressiver, aber eben der harmonisierende kleinste gemeinsame Nenner.

Mit der Forderung nach einer Homo-Ehe hält sich der Transgeniale* CSD nicht erst lange auf und zeigt damit, wie nötig die queere Szene eine zweite CSD-Demo braucht. Der Anspruch hier ist breiter, er erstreckt sich nicht nur auf Gleichberechtigung und Geschlechterordnung, sondern auch auf die Kritik an anderen gesellschaftlichen Machtstrukturen wie Sexismus, Rassismus, Klassismus.

Auch beim T*CSD gab es einen Eklat: Er sagte sich vor einer Woche zum Teil selbst ab. Workshopwoche und Demo finden statt, aber die Abschlusskundgebung am Heinrichplatz, die die Oranienstraße traditionell in eine Fußgängerzone verwandelte, fällt aus. „Wir sehen das als Chance, die bisherigen Strukturen aufzubrechen“, erklärt das Organisationsteam des Transgenialen* CSD in einer Stellungnahme. Statt auf dem Heinrichplatz endet die Demonstration nun auf dem Mariannenplatz, eine Straßenparty gibt es nicht.

Die Oranienstraße war in den letzten Jahren nach dem T*CSD immer mehr zur Feiermeile mutiert, mit Bier- und Fressbuden und wenig direktem politischen Bezug. Wobei es für viele Besucher_innen ein Ausdruck queerer Protestkultur war, einmal im Jahr die Straße zu erobern und sich selbst zu feiern. Wahrscheinlich wäre 2013 auch alles so gelaufen wie im Vorjahr, aber aufgrund einer Performance auf einer T*CSD-Soliparty, in der das Wort „Neger“ vorkam, kam es zu Kritik an den weiß dominierten Strukturen des T*CSD. Auch als Reaktion hierauf ist die Absage zu verstehen: „So wie es war, soll’s nicht weiter gehen“, heißt es beim Orgateam, das im Augenblick aus sieben Personen besteht – zu wenig für so viel ehrenamtliche Arbeit, und erst recht zu wenig, um die Vielfalt der am T*CSD beteiligten Gruppen abzubilden. „Der t*CSD ist das, was linke, queere Menschen aus ihr machen. Er sollte von mehr Menschen getragen und organisiert werden, mit verschiedenen Hintergründen, Lebensrealitäten und Positionen.“ MALTE GÖBEL