„Grüne sollten Fischer einfach stehen lassen“

Ironischerweise sind die basisdemokratischen Grünen in Deutschland in den letzten Jahren autokratischer alsandere Parteien geführt worden, sagt Parteienforscher Thomas Poguntke. Daher falle die Umstellung schwer

taz: Herr Poguntke, Sie haben die Entwicklung vieler grüner Parteien in Europa beobachtet. Fällt den deutschen Grünen die Umstellung von Regierung auf Opposition besonders schwer?

Thomas Poguntke: Sie sind in einer strategisch schwierigen Lage, weil ein Teil der früheren Koalition in der Regierung geblieben ist. Die SPD sorgt auf einigen Feldern für Kontinuität, zum Beispiel in der AKW-Debatte. Und in der Außenpolitik übernimmt sogar Angela Merkel Positionen, die man in erster Linie von den Grünen erwarten würde, etwa gegenüber Guantánamo. Für die Grünen ist es deshalb schwer, die Regierung frontal anzugreifen.

Lässt sich damit auch das grüne Hin und Her in der Geheimdienstaffäre erklären?

Zum Teil. Einerseits müssen die Grünen als Bürgerrechts- und Friedenspartei auf solche Vorwürfe sensibel reagieren. Andererseits haben sie diese Vorgänge mit zu verantworten. Diese Zwickmühle hat zu einer Vielstimmigkeit geführt. Das zeigt, dass die Grünen ihre Führungsfrage noch nicht gelöst haben.

Die Fraktionsspitze müht sich gerade, Joschka Fischer aufs Altenteil zu schieben.

Sein Weggang löst das Problem nicht. Die Grünen haben eine komplizierte Struktur, mit je zwei Partei- und Fraktionschefs. Darüber schwebte Fischer. Jetzt gibt es vier etwa gleich starke Figuren, die um die Vorherrschaft ringen. Bisher ist weder nach innen noch nach außen erkennbar, wer das neue Alphatier ist.

Brauchen die Grünen denn eine klare Nummer eins?

Nicht unbedingt. Aber sie – und die Öffentlichkeit – haben sich daran gewöhnt. Ironischerweise sind ja die basisdemokratischen Grünen in den letzten Jahren autokratischer als andere Parteien geführt worden. Da fällt die Umstellung schwer. Nun brauchen sie ein neues Machtzentrum. Das muss nicht eine Person sein. Aber es muss klar sein, wer zu welchen Themen für sie spricht.

Geht das überhaupt, solange Fischer im Bundestag sitzt und alle nach Belieben übertönt?

Ich denke nicht, dass die Grünen gut beraten sind, ihr eigenes Denkmal vom Sockel zu stürzen. Sie sollten es einfach in der Landschaft stehen lassen und in Zukunft tun, was sie für richtig halten. Die FDP hat sich auch nicht lang an Genscher abgearbeitet.

Bisher fällt es den Grünen schwer, Positionen zuzuspitzen. Sie sagen zur Rente ab 67: Ja, aber nicht so. Zu Deutsch auf Schulhöfen: Ja, aber nicht als Zwang. Hat so differenzierte Politik Aussicht auf Erfolg?

Als ehemalige Regierungspartei kann man nicht sofort auf eine pauschalisierende Oppositionsstrategie umschalten, weil man sonst unglaubwürdig wird. Was die Grünen aber brauchen, sind zwei, drei starke Themen, die sie besetzen. Dafür bietet sich immer noch die Umweltpolitik an. Nun ist Herr Gabriel da ein starker Konkurrent, aber da müssten die Grünen stärker zu hören sein.

Also Konzentration auf den Markenkern Ökologie?

Die meisten grünen Parteien in Europa, jedenfalls die erfolgreicheren, haben ihr Themenspektrum erweitert. Die deutschen eigentlich ja auch. Über die Außenpolitik haben sie ein starkes zweites Standbein entwickelt.

Womit wir bei Fischer wären. Oder können das auch andere?

Natürlich war Fischer die dominierende Figur. Mit seinem rhetorischen Talent hat er oft kaschiert, dass die rot-grüne Außenpolitik stark von Schröder geprägt wurde. Insofern war auch bei Fischer mehr Schein als Sein. Trotzdem zwang er die Grünen, sich weiterzuentwickeln.

Fischer stand für Rot-Grün. Seine Nachfolger signalisieren, dass sie nach links und rechts für Koalitionen offen sind.

Das ist richtig, weil die Grünen sonst auf die SPD fixiert bleiben. Wenn man sich die europäischen Demokratien anschaut, ist die Fantasie, was die Zusammensetzung von Koalitionen angeht, in den letzten Jahren gewachsen.

Aber kann es sich eine Partei leisten, als völlig flexibel zu erscheinen – insbesondere in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, die momentan alles dominiert?

Ganz so ist es ja nicht. Schaut man sich die wirtschaftspolitischen Positionen an, könnten sich die Grünen eher mit der FDP als mit der Linkspartei treffen. Wenn sie ehrlich wären, müssten sie das auch sagen.

Diese Ehrlichkeit scheint die Parteibasis in Deutschland nicht zu wollen. Wie ist das bei Grünen in anderen Ländern?

Generell sind die Grünen in Europa nicht mehr so stark an die Mobilisierungszyklen von Protestbewegungen gekoppelt. Zum Teil haben die deutschen Grünen mit ihren sozialpolitischen Positionen nachvollzogen, was andere schon gemacht haben. Stark links orientierte Kräfte sind in der europäischen grünen Familie nicht dominierend.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF