: Das Sahnestück ist längst verputzt
ARBEITSVERHÄLTNISSE Der öffentliche Dienst – ein Hort beschäftigungspolitischer Glückseligkeit?
VON EVA VÖLPEL
Die Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bund und Kommunen sollen eine Gehaltssteigerung in drei Stufen erhalten – so lautet der Schlichterspruch, der gestern Arbeitgebern und Gewerkschaften vorgelegt wurde.
Bei den Tarifverhandlungen stand die Arbeitnehmerseite, organisiert in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und im Deutschen Beamtenbund, angesichts der Debatten um Staatsschulden, Steuersenkungen und die erschreckend leeren Kassen der Kommunen unter besonderem Rechtfertigungsdruck. Nicht nur weil der Bund auf rund einer Billion und die Kommunen auf rund 110 Milliarden Euro Schulden sitzen, mahnten die Arbeitgeber – die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände und das Innenministerium – eindringlich zur Lohnzurückhaltung. Nach landläufiger Meinung gilt der öffentliche Dienst immer noch als „Sahnestück“ auf dem Arbeitsmark: Dort werde gut bezahlt und der Arbeitsplatz sei ein Leben lang sicher. Mag das für die Beamten noch immer zutreffen, kommen die Tarifbeschäftigten nur mit Einschränkungen in den Genuss eines besonderen Kündigungsschutzes. Und das auch nur in Westdeutschland. Allzu üppig fällt der Lohn der Tarifbeschäftigten auch nicht aus – durchschnittlich 2.430 Euro brutto verdienen Angestellte im Bund, 2.500 Euro Angestellte in den Kommunen.
„Einmal eingestellt und für immer im öffentlichen Dienst? Das ist schon lange nicht mehr so“, sagt Robert Renk, Verwaltungsfachangestellter im Jobcenter Flensburg. Zuvor war er beim Landkreis Schleswig-Flensburg beschäftigt, einer von bundesweit 69 „Optionskommunen“, in denen sich allein die kommunalen Verwaltungen um Arbeitslose kümmern. „Rund 70 Prozent meiner Kollegen wurden dort nur Zeitverträge gegeben, die hängen seit Jahren in der Luft“, berichtet Renk. Auch die Sozialwissenschaftler Markus Tepe und Daniela Kroos, die für die Hans-Böckler-Stiftung Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst untersucht haben, stellen fest, dass dort die Befristungsquote mit 13,1 Prozent „deutlich höher“ liege als in der Privatwirtschaft mit 7,4 Prozent.
Renk hatte Glück: Der 40-Jährige konnte von der Optionskommune zum Jobcenter Flensburg auf eine unbefristete Vollzeitstelle wechseln. 3.000 Euro Brutto verdient er dort. Er prüft Kontoauszüge, forscht nach Vermögen, rechnet unregelmäßige Einkommen an und muss festlegen, wie viel Geld Arbeitslose zum Leben bekommen.
„Der Leistungsdruck ist hoch, alles soll korrekt sein. Bei Neueinstellungen wird um jede halbe Stunde Arbeitszeit gefeilscht“, erzählt Renk. Er selbst betreut insgesamt 210 sogenannte Bedarfsgemeinschaften, manche Kollegen haben weitaus mehr Fälle auf dem Schreibtisch. Dass in den Jobcentern längst nicht alles korrekt läuft, ist allgemein bekannt: Im vergangenen Jahr musste die Bundesagentur für Arbeit 300.000 Bescheide korrigieren, rund jedem dritten Widerspruch wurde stattgegeben. Um Arbeitslose besser zu betreuen, sie zu fördern statt nur zu fordern, bedürfe „es weitaus mehr Personal“, meint Renk.
Doch statt auf- wird abgebaut: Seit Mitte der Neunzigerjahre ist in Deutschland die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um rund 20 Prozent geschrumpft. Vor allem im einfachen Dienst sind ganze Beschäftigungssparten wie beispielsweise Reinigungsdienste outgesourct worden. Heute arbeiten noch 149.000 Tarifbeschäftigte für den Bund, 1,85 Millionen für die Kommunen. Hinzu kommen 359.517 Beamte im Bund und 183.535 in den Kommunen, deren Besoldung gesondert und gesetzlich geregelt wird.
Auch die Ausrichtung des öffentlichen Dienstes hat sich grundlegend gewandelt. Seit den Neunzigerjahren orientiert sich die Personalführung an Effizienzkriterien der Privatwirtschaft. Seither werde „in vielen Bereichen“ des öffentlichen Dienstes „von einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und einer stark gestiegenen Arbeitsintensität“ berichtet, stellen Tepe und Kroos fest.
Die Liste der Einschränkungen, die die Tarifbeschäftigten in den vergangenen Jahren hinnehmen mussten, ist lang: Nicht nur dass die Inflation seit 1989 alle Reallohnerhöhungen aufgefressen hat. Gestrichen wurden auch das Urlaubsgeld und familienbezogene Leistungen, deutlich gekürzt das Weihnachtsgeld.
Trotzdem fordern fast alle Parteien: Am öffentlichen Dienst muss gespart werden. Gleichzeitig erwarten die Bürger wie selbstverständlich – das zeigen nicht zuletzt die Debatte um das Schneeräumen oder das Entsetzen, wenn Jugendämter wieder einmal eine Kindesmisshandlung zu spät bemerken –, dass die öffentlichen Dienstleistungen funktionieren.
Auch Klaus Torp arbeitet in einem Bereich, der perfekt funktionieren muss. Er ist Lebensmittelkontrolleur der Stadt Flensburg. Torp muss nicht nur dafür sorgen, dass verdorbene Nahrungsmittel nicht auf den Tellern landen, er kontrolliert auch Kosmetikprodukte oder Kleidung auf Schadstoffe. „Ich bin für 400 Betriebe zuständig, das geht noch, aber manche Kollegen müssen über 1.000 abdecken. Da können Sie sich vorstellen, dass mal etwas durchrutscht“, erzählt er. Zumal die Anforderungen komplizierter würden: „Der Lebensmittelmarkt mit den Nahrungsergänzungsmitteln wächst unaufhaltsam, wir müssen uns ständig weiterbilden.“
Doch mit Betriebskontrollen und Probeentnahmen ist es nicht getan. Torp muss sich auch auskennen mit EU-Verordnungen und dem Ordnungsrecht, denn er entscheidet, ob ein Betrieb geschlossen und ein Bußgeldbescheid erstellt wird. Das ist viel Verantwortung. Bis er die übernehmen konnte, musste er eine siebenjährige Ausbildung absolvieren. Mittlerweile ist Torp in der letzten Gehaltsstufe angelangt: Mehr als 3.200 Euro brutto monatlich wird der 49-Jährige nicht mehr verdienen.
Bei den Tarifverhandlungen geht es ihm allerdings weniger um den eigenen Geldbeutel als die Sorge, ob nicht bald der Nachwuchs fehlt: „In den nächsten fünf Jahren gehen rund 20 Prozent der Kollegen im Bundesgebiet in Rente oder Pension, wir haben großen Bedarf an Leuten. Aber guter Nachwuchs möchte auch gut bezahlt werden“, sagt Torp. Doch gerade daran hakt es, wie er vorrechnet: Mit der Umstellung des Bundesangestelltentarifvertrags auf den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst im Jahr 2005 sei eine Gehaltsstufe gestrichen worden. Jetzt gehe ein neuer Kollege, der verheiratet ist, nach sieben Jahren Ausbildung mit 1.700 Euro nach Hause. „Stellen Sie sich vor, der oder die hat zwei Kinder, das reicht einfach nicht“, sagt Torp.
Tatsächlich scheint der öffentliche Dienst der Privatwirtschaft beim „Kampf um die besten Köpfe“ unterlegen. Bereits für die nächsten zehn Jahre prophezeit die Robert-Bosch-Stiftung dem öffentlichen Dienst Personalmangel. Rund ein Drittel der Mitarbeiter werde in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Personalchefs berichten schon heute davon, wie schwer es ist, geeigneten Nachwuchs zu finden. Nicht zuletzt weil die Löhne in der deutschen Wirtschaft Ver.di zufolge zwischen 2000 und 2009 um 5 Prozent stärker gestiegen sind als im öffentlichen Dienst.
Tepe und Kroos zeichnen jedoch ein etwas differenzierteres Bild: Demnach hätten vor allem Frauen in Ost- und Westdeutschland „bis in hohe Einkommensbereiche“ im öffentlichen Dienst „bessere Verdienstchancen als in der Privatwirtschaft“. Auch Personen mit geringeren Qualifikationen verdienten im Schnitt mehr als auf dem freien Markt. Die Kehrseite: Westdeutsche Männer müssten „beachtliche prozentuale Lohnnachteile“ in Kauf nehmen. So verdient demnach ein Ingenieur im öffentlichen Dienst 1.500 Euro und ein Betriebswirt 1.300 Euro weniger als in der Privatwirtschaft.
Mit wenig Geld musste auch Maria Höcher in den zwei Jahren ihrer Ausbildung zur Zollbeamtin vorliebnehmen. Rund 700 Euro waren es damals, heute verdient die 27-Jährige 2.000 Euro brutto. Am Frankfurter Flughafen prüft sie, ob bei der Ein- und Ausfuhr von Waren Produktpiraterie vorliegt, ob der Artenschutz verletzt oder Drogen transportiert werden. Wegen der chronischen Unterbesetzung – der Gewerkschaft zufolge fehlen am Flughafen rund 170 Zollbeamte – muss Höcher schon mal zehn oder zwölf Tage am Stück arbeiten oder vom einen auf den anderen Tag von Spät- auf Frühdienst umschalten.
Die Vernachlässigung des öffentlichen Dienstes ärgert sie: „Durch unsere Arbeit nimmt der Bund jährlich bis zu 100 Milliarden Euro ein. Hätten wir mehr Personal, könnte es noch mehr sein.“ Den Vorwurf, der öffentliche Dienst fordere zu viel, weist sie zurück: „Wir sollen sparen, doch für Steuergeschenke ist genug Geld da. Die Gesellschaft muss sich überlegen, welchen öffentlichen Dienst sie will.“