: Die Empfindlichkeit einer Gruppe
PROZESS Ein Hamburger Gericht verurteilt einen Mann, der eine Mütze mit der Parole A.C.A.B. trägt. Anwälte erkennen darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit
Benedikt Klas, Anwalt
VON ANDREJ REISIN
Wer A.C.A.B. als Schriftzug auf Kleidungsstücken trägt, muss offenbar zunehmend damit rechnen, dafür strafrechtlich belangt zu werden. Zumindest verurteilte das Hamburger Amtsgericht einen 23-Jährigen in der vergangenen Woche deshalb zu einer Geldstrafe von 1.800 Euro. Dass die Parole für das englischsprachige „All Cops Are Bastards“ (zu Deutsch: „Alle Polizisten sind Bastarde“) steht, gilt in der Rechtsprechung als weitgehend unumstritten. Der Angeklagte im laufenden Verfahren berief sich allerdings auf eine alternative Interpretation und behauptete, die Abkürzung auf seiner Mütze stehe für „All colours are beautiful“.
Das Gericht wollte davon nichts wissen: Der Angeklagte sei gezielt auf eine Gruppe Polizisten zugegangen und habe diese herabwürdigen wollen. Laut im Hamburger Abendblatt veröffentlichten Auszügen aus der mündlichen Urteilsbegründung soll der Richter gesagt haben: „Wer mit einer solchen Mütze auf Polizisten zugeht, begeht eine Straftat und zahlt dafür“, was der Angeklagte „auch ruhig weitererzählen“ könne. Solche Äußerungen seien „nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt“, außerdem seien „Polizisten kein Freiwild für die Spaßgesellschaft“.
Für den Verteidiger des Angeklagten handelt es sich dagegen „eindeutig um politisch motivierte Strafverfolgung, die ein Exempel statuieren wollte“, so Rechtsanwalt Matthias Wisbar. Das Gericht habe sich zu keinem Zeitpunkt für entlastende Einlassungen seines Mandanten interessiert. Zudem sei der Zuschauerraum aus unerfindlichen Gründen komplett mit Polizeischülern besetzt gewesen, nebst zwei Reportern aus dem Hause Springer und fünf Rechtsreferendaren, die laut Wisbar „überhaupt nicht zu der Abteilung des verhandelnden Richters gehörten“. Dies sei „alles recht merkwürdig“.
Richter Johann Krieten lehnte eine Stellungnahme zum Prozess ab. Da die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliegt, konnte Gerichtssprecher Alexander Witt lediglich grundsätzlich sagen, „dass die Strafbarkeit wegen Beleidigung mit Kollektivbezeichnungen“ davon abhänge, „ob sie nur pauschal in den Raum gestellt“ werde oder „konkret einer Person der bezeichneten Gruppe“ zuzuordnen sei. Man bewege sich „strafrechtlich jedenfalls auf einem sehr schmalen Grat, wenn man Kleidungstücke mit derartigen Aufschriften in der Öffentlichkeit“ trage.
Der Karlsruher Rechtsanwalt Benedikt Klas, der sich in der Höchstrichterliche Rechtsprechung, einer juristischen Fachzeitschrift, mit dem Thema A.C.A.B. beschäftigt hat, sieht dagegen eher die aktuelle Hamburger Rechtsprechung auf einem schmalen Grat wandeln: Seiner Auffassung nach haben sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass eine Verurteilung „wegen herabsetzender Äußerungen über Kollektive in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung eingreift und deswegen keinen Bestand haben kann“. Insbesondere die entsprechenden Urteile zum Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ seien hier wegweisend.
Für Klas ist es daher „höchst fraglich“, ob die allgemeine Äußerung „All Cops Are Bastards“ in Wort oder Schrift ein strafbares Verhalten darstellt. Er weiß dabei auch von bizarren Fällen zu berichten: So sei ein Motorradfahrer im Zuge einer Verkehrskontrolle angezeigt worden, weil er den Slogan auf seinem Motorrad eingraviert habe. Besonders absurd sei hier, dass man dem Beschuldigten wohl kaum unterstellen könne, er habe sich bewusst in eine Verkehrskontrolle begeben, um gezielt einzelne Beamte zu beleidigen. Das Verfahren läuft noch.
„Es sind so viele Fälle und auch so abstruse Fälle“, berichtet Klas weiter, „dass ich denke, es gibt bei den Staatsanwaltschaften Weisungen, diese Verfahren in jedem Fall durchzuziehen.“Wenn jemand zu einem Fußballspiel gehe, zu einer Demonstration oder auch nur in die Innenstadt, werde man immer auch auf einzelne Polizisten stoßen, denen man unter Umständen gar nicht ausweichen könne. Sollte dann allein das Tragen der Parole zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen, wären laut Klas Meinungs- und Bewegungsfreiheit „sehr stark eingeschränkt“. Er gehe daher fest davon aus, dass es beim Thema A.C.A.B. früher oder später zu einer im Sinne der Beklagten erfolgreichen Verfassungsbeschwerde kommen werde.