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Archiv-Artikel

Bier für alle – wenn die Tür zu ist

RUHE In Hamburg-Harburg eröffnet ein Trinkraum nach Kieler Vorbild – die Zielgruppe trinkt bisher vor dem Rathaus

Die Stadt Kiel hat jetzt auch draußen Bänke aufgestellt – Trinker, akzeptiert im öffentlichen Raum?

Der Hamburg-Harburger Bezirkspolitiker Jürgen Heimath, SPD, hat am Dienstagabend eine Lösung gefunden für „die Personen, die auffällig werden“. Einen „Sozialraum“ nämlich. Zwischen 25 und 50 Menschen treffen sich jeden Tag vor dem Harburger Rathaus und trinken. Viele von ihnen haben zwar eine Wohnung, aber kein Einkommen: Die Kneipe wäre zu teuer. Doch auf dem Rathausplatz stören sie.

In einem Haus, das ein paar Straßen weiter leer steht, soll deshalb jetzt ein sogenannter Trinkraum nach Kieler Vorbild entstehen. Denn in Kiel gibt es schon seit Jahren Kneipen, in die man sein eigenes Bier mitbringen darf. Damit die Trinker nicht mehr auf der Straße sitzen.

Die Harburger Politiker haben sich mit ihrem neuen Sozialraum aber noch mehr vorgenommen: die „Herstellung und Stabilisierung der Arbeitsfähigkeit“, so steht es im Beschlusspapier. Das ist genau nicht das Kieler Konzept: Die zwei Trinkräume werden dort von dem Obdachlosen-Magazin Hempels betrieben. Dessen Geschäftsführer Reinhard Böttner sagt: „Suchtberatung machen wir generell nicht.“

In einer kostenlosen Kneipe sollten keine offensiven Sozialarbeiter am Eingang stehen, findet Böttner. Seine Mitarbeiter bieten Treuhandkonten an, damit Obdachlose Überweisungen tätigen können. Aber bei Suchtproblemen helfen sie nur, wenn sie jemand darum bittet.

Knapp 40 Menschen besuchen jeden Monat die Kieler Trinkräume. Bloß die Gäste, die Drogen oder harten Alkohol mitbringen, müssen wieder gehen. Deshalb seien die Gruppen, die in der Einkaufsstraße Passanten stören, auch immer noch da, sagt Böttner.

Trotzdem haben Städte im Ruhrgebiet und Berlin seine Idee kopiert. Auch Hamburg hatte vor drei Jahren erwogen, einen Trinkraum in Hauptbahnhofnähe zu öffnen. Stattdessen errichtete der zuständige Bezirksamtsleiter dann einen Zaun gegen Obdachlose – und musste das 18.000 Euro teure Gitter nach Protesten wieder abflexen lassen.

Die Stadt Kiel prescht unterdessen wieder vor: Am Rand des Wilhelmplatzes, auf dem meist Autos parken, treffen sich seit Jahren Männer und Frauen und trinken im Stehen Bier. Seit Kurzem stehen hier nun Bänke. „Dieser Bereich wurde möbliert, um der Szene einen neuen Treffpunkt anzubieten“, sagt Rathaussprecher Arne Gloy. Trinker, akzeptiert im öffentlichen Raum? Zuvor habe sich die Gruppe am Supermarkt getroffen, sagt Gloy. Von dort sollten sie wohl verschwinden.  KRISTIANA LUDWIG