Dämonische Lust

Der Amerikaner Daron Rahlves kennt nur einen Fetisch: Geschwindigkeit. Deswegen mag er die morgige Olympiaabfahrt von Sestriere auch nicht

VON THOMAS BECKER

Auf Olympia freut Daron Rahlves sich nur bedingt: „Die Strecke in Sestriere hat nichts, wovor man sich ängstigen müsste, auch wenn ständig was los ist, man viel tun muss.“ Der Wettbewerb am Sonntag (12 Uhr) wird ihn nicht wie gewünscht fordern. Nicht so wie die Strecken in Bormio, Wengen und Beaver Creek, wo in diesem Winter der Sieger Rahlves hieß. Vom Kollegen Fritz Strobl ist der Satz überliefert: „Je schneller und schwieriger es wird, umso schneller wird Daron.“ Schon vor seinem Leben als Skirennläufer war Rahlves ein Adrenalinjunkie: In den 80er-Jahren war er schon mal Jet-Ski-Weltmeister und Wasserski-Weitsprung-Weltrekordhalter: „Das war 1986, 49 Meter weit, sechs Jahre lang war das Weltrekord.“

Weil ihm die olympische Abfahrt zu lasch ist, schwärmt der US-Amerikaner lieber von der Streif: dem Mekka der Hasardeure. Seine Augen leuchten wie die eines Kindes vorm Weihnachtsbaum, wenn er von der schwierigsten Strecke im Ski-Weltcup spricht. Von der abgründigen Eiswüste am Start, für ihn der entscheidende Moment: „In diesem Häuschen zu stehen und sich immer wieder klarzumachen, warum man das alles so unbedingt gewollt hat.“ Dann erzählt er von den irrwitzigen Sprüngen, dem Satz ins Nichts an der Hausbergkante, dem Spießrutenlauf in der Traverse, dem finalen Flug ins Ziel mit 130 Sachen, wo 30.000 Fans sich die Kehle heiser schreien.

Karriere im Wohnwagen

Nein, Daron Rahlves kann sich nicht vorstellen, dass alles nur noch ein einziges Mal zu erleben. Er mag es sich auch gar nicht vorstellen. Im Herbst hatte der 32-Jährige verkündet, dies werde seine letzte Saison als Rennläufer sein: „Irgendwann muss Schluss sein. Ich bin acht Monate im Jahr unterwegs, davon dreieinhalb in Europa.“ Seine Frau Michelle ist zwei Monate lang mit ihm in dem riesigen Wohnwagen unterwegs, den ihm ein Sponsor bereitgestellt hat. Aber jetzt scheint sich die Vernunft durchzusetzen: „Dieses Leben lebe ich, seit ich 14 bin. Es ist genug jetzt. Und es ist einfacher zu gehen, wenn man tolle Ergebnisse erreicht hat. Lieber gewinne ich ein paar große Rennen als ständig Fünfter zu werden. Stephan Eberharter war da ein großes Vorbild: auf dem Höhepunkt aufhören.“ Wo andere sich lieber schonen und auf die nächste, nicht gar so halsbrecherische Abfahrt warten, da lebt der mit 1,75 vergleichsweise kleingewachsene Amerikaner richtig auf. „Ich mag Strecken, die einem alles abverlangen, die einen zwingen, den eigenen Dämonen ins Auge zu schauen. Es muss gefährlich sein. Das ist auch das, was die Zuschauer sehen wollen.“

Kapitale Stürze wie die 540-Grad-Luftnummer in Adelboden werfen ihn nicht zurück: Ein paar Tage später fuhr er wieder. Und doch gibt es etwas, wovor er sich fürchtet: „Nicht das Zutrauen zu haben, das totale Risiko zu gehen: Davor habe ich Angst. Ich mag es, ein bisschen zu erschrecken.“ Es muss wohl in der Familie liegen: Papa Dennis, in den 60er-Jahren auch Wasserski-Weltrekordler, trieb sich mit Vorliebe in Afrika auf nicht ganz ungefährlichen Safaris rum.

Start beim Motocross

Rahlves wird sich künftig also nicht mehr aus Starthäuschen auf gemeingefährliche Pisten katapultieren – was natürlich nicht heißt, dass er der Droge Geschwindigkeit entsagt: „Ich will mich mit Freeski-Filming beschäftigen. Und Motocross-Rennen fahren. Vergangenen Sommer bin ich schon drei Rennen gefahren.“ Und wer diese Bilder sieht, weiß auch nicht so genau, ob nun Downhill oder Motocross schlimmer ist. Rahlves befindet sich in guter Gesellschaft: Luc Alphand, Gesamt-Weltcupsieger von 1997, hat gerade eine ganz andere Trophäe gewonnen, die Rallye Dakar. Auch Hermann Maier hat schon angekündigt, nach dem Bergrunterfahren nicht allzu gemütlich zu werden: Die Rallye Dakar könne er sich gut vorstellen – allerdings nicht im Auto, sondern auf dem Motorrad. Immerhin: Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn in der Wüste wieder ein Rentner mit dem Wagen vom Motorrad hebelt, ist deutlich geringer als auf Österreichs Bundesstraßen.

Und dann verrät Daron Rahlves doch noch seinen Geheimplan: „Ich habe schon überlegt, nur für zwei Rennen zurückzukommen: Beaver Creek und Kitzbühel. Aber das ist ja Quatsch.“ Hups, da ist sie ja schon wieder, die Sucht.