: Beschauliche Gipfel
In Osttirol steht man im Winter selten Schlange, Norddeutsche kommen schnell hin
Für jemanden, der das Skifahren zuletzt in den 1980er-Jahren mit einigem Ernst betrieben hat, ist es schon eine freudige Überraschung, dass es heute Pisten gibt, die nicht überlau- fen sind und an denen man selbst am Wochenende am Lift keine Minute anstehen muss. So eine Region ist das Defereggental im österreichischen Osttirol, das dank günstiger Flugverbindungen nach Klagenfurt heute quasi vor den Toren von Berlin und Hamburg liegt. Wiener brauchen länger dort- hin.
Osttirol ist jene Region, die durch die Abtretung Südtirols nach dem Ersten Weltkrieg von Nordtirol abgetrennt wurde. Eingepfercht zwischen Kärnten, Salzburg, Oberitalien und Südtirol gehört es zwar administrativ zu Tirol, hat aber seinen eigenen Charakter und liegt bisher touristisch im Schatten der großen Skiregionen Ötztal oder Arlberg.
Die Dörfer sehen aus wie auf den Ansichtskarten, die Freunde gern aus dem Winterurlaub verschicken: Über die Hänge verstreute Gehöfte mit schwarzen Holzgiebeln passen sich als willkommener Blickfang an die Gebirgslandschaft an, die durch die dicke Schneedecke so milde wirkt, dass sie vergessen macht, unter welch beschwerlichen Umständen die Bergbauern hier wirtschaften.
Trotz ihrer Abgeschiedenheit blieb die Region von den großen Umwälzungen in Europa nicht verschont. So wurden zwischen 1684 und 1686 über sechshundert Protestanten aus dem Defereggental vertrieben. Unter dem Vorwand, sie seien Sektierer, gewährte ihnen der Landesfürst nicht einmal die gesetzlich vorgesehene Dreijahresfrist zur Ordnung ihrer Angelegenheiten. Kinder unter 15 Jahren mussten zurückgelassen werden, denn die Kirche erklärte sich für zuständig, aus ihnen anständige Katholiken zu machen.
Die eigensinnigen Bergbauern des Villgratentals weiter im Süden erregten den Unmut der Nationalsozialisten, als sie im April 1938 bei der Abstimmung über den Anschluss Österreichs an das Dritte Reich mehrheitlich mit Nein stimmten. Keine andere Gemeinde brachte den Nazis eine so offene Ablehnung entgegen.
In den abgelegenen Tälern ist das Brauchtum noch nicht zum Tourismusspektakel verkitscht worden. Die so genannten Krampusumzüge in den ersten Dezembertagen sind ziemlich wilde Spektakel. Unter ohrenbetäubendem Scheppern von Kuhglocken, die sie auf den Rücken geschnallt haben, laufen maskierte Burschen durch die Straßen und erschrecken ahnungslose Zuschauer.
Die gehörnten, ziemlich Furcht erregenden Masken sind Kunstwerke, die aus dem Brauch entstanden sind, dem heiligen St. Nikolaus einen Kerl an die Seite zu geben, der dafür zuständig ist, unartige Kinder und Erwachsene zu bestrafen.
Widerstand gegen die Obrigkeit war immer schon Triebfeder des Tuns für die Wilderer. In den abgelegenen Bergtälern entwickelte sich eine besondere Kultur des Wilderns, die nicht mehr unmittelbar dem Nahrungserwerb diente. Inoffizielle Pilgerstätte, die von den Einheimischen nicht gerne hergezeigt wird, ist der kleine Friedhof hinter der Dorfkirche von Innervillgraten, wo der letzte von Jägern erschossene Wilddieb begraben liegt. „Ich wurde“, steht in den weißen Grabstein gemeißelt, „am 8. September 1982 von zwei Jägern aus der Nachbarschaft kaltblütig und gezielt beschossen und vom dritten Schuss tödlich in den Hinterkopf getroffen“. Der Wilderer wurde zum Heroen, der Todesschütze floh vor der Justiz außer Landes.
Heute fühlen sich die Osttiroler am ehesten von Plänen der Tiroler Energiegesellschaft Tiwag bedroht, die in einigen der idyllischen Alpentäler ideale Standorte für neue Wasserkraftwerke entdeckt hat. Am nötigen Gefälle für die Turbinen fehlt es nicht. Osttirol ist mit einer mittleren Höhe von über zweitausend Metern der höchstgelegene Bezirk Österreichs. Nicht weniger als 241 Gipfel ragen über dreitausend Meter in den Himmel. Dazu gehört auch der Großglockner, mit 3.798 Metern Österreichs höchster Berg, der bei gutem Wetter von den Bergstationen der Lifte zu sehen ist.
Lukas Krösslhuber, Leiter der Osttirol-Werbung, weist darauf hin, dass man im Defereggental trotz Nordlage auf den Pisten bis weit in den Nachmittag in der Sonne fährt. Er hat Recht. Wer den Langlauf vorzieht, findet eine abwechslungsreiche Loipe, auf der es allerdings ganz schön kalt werden kann, denn die Sonne auf 2.500 Metern Höhe, wo die Lifte hinführen, lässt vergessen, dass unten im Tal eisige Temperaturen herrschen. Da weicht man besser ins südliche Osttirol aus, nach Sillian oder Obertilliach, wo eine der besten Biathlon-Strecken Europas eingerichtet wurde.
Gemütliche Fahrten mit dem Pferdeschlitten gehören ebenso zum Angebot wie Eisstockschießen und Wanderungen durch den Naturpark Hohe Tauern. Er reicht nach Salzburg und Kärnten hinein. Der Großglockner und der mit 3.674 Metern Höhe nur wenig niedrigere Großvenediger liegen in diesem größten Schutzgebiet seiner Art in Europa.
Im Winter heißt es Schneeschuhe anlegen. Das sind ovale Plastikteller mit Greifzacken, die im Tiefschnee Spuren hinterlassen wie der Yeti. Die Hochgebirgslandschaft wurde nach dem Rückzug der Eiszeitgletscher vor rund 12.000 Jahren zum Lebensraum für Pflanzen und Tiere aus den zentralasiatischen Kältesteppen und der Arktis. Hier liegt der größte Zirbenwald Österreichs. Der Steinbock ist nur der prominenteste Vertreter der animalischen Zuwanderer. Hermann Mauthner, Ranger im Nationalpark, weiß, wo man mit dem Feldstecher mit Sicherheit Gemsen in der Felswand erspähen kann oder wo eines der 36 Steinadlerpärchen, die im Nationalpark heimisch sind, zu beobachten ist. Noch nicht heimisch geworden sind die Lamas, die beim Trekking im Nationalpark eingesetzt werden. Aber mit Klima und Gelände kommen sie prächtig zurecht. RALF LEONHARD
Flüge Berlin–Klagenfurt bietet z. B. Hapag Lloyd Express (hlx.com) ab 19 Euro an. Von Klagenfurt in die Osttiroler Hauptstadt Lienz sind es noch ca. 150 km. Während der Hochsaison wird ein Flugshuttle für ca. 20 Euro angeboten. Manche Hotels holen ihre Gäste am Flughafen Klagenfurt ab. Weitere Infos: www.osttirol.com, www.hohetauern.at, www.defereggental-info.at