Tapfer das Gute wollen

WORLD TRADE CENTER Der Schriftsteller Stig Dalager zeigt idealtypisch, was man bei einem Roman zum 11. September alles falsch machen kann: „Im Schattenland“

Was erzählt man jetzt, acht Jahre danach? Gute Frage!

Sind Romane zum 11. September eigentlich Pflicht? Und wenn ja, wer muss sie schreiben? Und wann wäre der ideale Zeitpunkt dafür gewesen? Ist nicht spätestens mit der Finanzkrise das nächste große Ding in der Welt, das nach literarischer Gestaltung schreit?

Es ist mit dem 9/11-Roman ähnlich wie mit dem Wenderoman: Er scheint eine besondere fallenumstellte Herausforderung darzustellen, und bis es den gültigen Kommentar zur zeitgeschichtlichen Zäsur nicht gibt, warten irgendwie alle drauf. Don DeLillo hat ihn vielleicht mit „Falling Man“ (deutsch 2007), der Geschichte einer privaten Verstörung durch das kollektive Ereignis, schon geliefert.

Nun also der Däne Stig Dalager, geboren 1952. Dänen müssen keine 9/11-Romane schreiben, Stig Dalager hat es dennoch getan. Was erzählt man jetzt, acht Jahre danach, da nicht nur die Bilder der Flugzeuge, die in die Türme krachen, zum visuellen Allgemeingut geworden sind, sondern längst auch die Dokudramen zu den Jahrestagen? Gestaltet man noch einmal den Schock, das Trauma, oder befasst man sich mit Terrorismus?

Stig Dalager packt in seinen Text einfach alles rein. Der Held Jon Bæksgaard rettet eigenhändig seine Freundin Eve aus dem brennenden WTC, an sich schon ein physisches Wunder – just, als sie draußen sind, fällt der Südturm in sich zusammen (wie überhaupt der Zufall dem Helden verdächtig oft zu Hilfe kommt). Doch damit lange nicht genug: Er rettet auch einen unschuldig unter Terrorismusverdacht geratenen muslimischen Mandanten und verfolgt den wahren Täter bis nach Palästina, alles natürlich unter massivem Einsatz des eigenen Lebens. Früher hatte er schon Altnazis gejagt; die Nazis haben die Familie seiner jüdischen Freundin umgebracht; ein palästinensischer Scharfschütze hat Eves Bruder erschossen; mit Eve will er nach Israel auswandern. Oder doch nicht? Im Hintergrund wird nämlich ein Liebeskonflikt zwischen Eve und der dänischen Ex kaum glaubhaft, es geht um die Frage: Nicht doch lieber heim nach Kopenhagen, raus aus den ganzen Schussfeldern? Nein, da ist wirklich gar nichts ausgelassen. Und die plump hingezimmerten Verstrickungen in sämtliche angesagten Konfliktherde der Welt sind nicht das einzig Plumpe an diesem Roman.

Vor der Katastrophe wird unerträglich oft das WTC erwähnt, in dem Eve arbeitet. Auch Andeutungen wie „Es ist Morgen, was wird dieser Tag bringen?“ wirken nur dümmlich, und die Intuitionen des Helden, der Eve ins WTC nachlaufen und sie zurückholen will – aber warum nur? –, sind eben: plump, wohlfeil, weil jeder weiß, was passieren wird. In den Katastrophenszenen selbst wird die sprachliche Unangemessenheit grotesk: Eve ist im WTC, „und ein Gefühl von Angst und Unheil durchfährt sie“, als sie zwei Menschen aus dem Krater im Nachbarturm springen sieht. Ein Gefühl von Angst und Unheil! Oder: „Das heftige Feuer […] verbreitet Tod und Zerstörung.“ Dalager findet keine Sprache für den Schrecken, schlimmer, er sucht auch keine. Die Schilderung wird dadurch sogar zynisch.

Auch das Reinblenden ins zweite Flugzeug hat man im TV-Format schon überzeugender gesehen. Die halbherzig versuchte Perspektive der Attentäter bleibt im Klischee stecken: Der sexuell frustrierte Pilot Al-Shehhi träumt vom Jungfrauenficken, und Bin Ladens Furchtlosigkeit wird durch tausend enervierende rhetorische Fragen gejagt: „Kann er etwa nicht fliegen, ist er nicht der Rebell?“

Dazu Dialoge wie aus schlechten Krimis („Ich habe Mohammed mein Wort gegeben.“ „Sollen wir jetzt aufgeben?“ „Diese Leute sind zu allem fähig.“), Küchenpsychologie und -tiefsinn („Überall gibt es Tote – und Angeklagte. Was bedeuten seine kleinen Schritte auf Erden?“), Küchenkulturkritik an den amerikanischen Verhältnissen. Und Träume als plumpe Metaphern.

Jon Bæksgaard, der doch einfach nur das Gute will und dafür tapfer („Das schaffe ich schon“) seine physischen und psychischen Grenzen ignoriert, kommt mit dem Weltretten fast, aber nicht ganz hinterher. Sein Autor, der dafür viele Glaubwürdigkeitsgesetze bricht, hat sich schwer verhoben. MAJA RETTIG

Stig Dalager: „Im Schattenland“. Aus dem Dänischen von Heinz Kulas und Jette Mez. Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2009. 336 Seiten, 19,95 Euro