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Archiv-Artikel

Gefühle in 160 Zeichen

Am Valentinstag klagen wieder alle, dass kaum ein Paar sich noch Briefe schreibt. Dabei hat sich die Liebeskommunikation enorm erweitert: Erst jetzt gibt es für jeden Liebeszweck das passende Mittel

VON MICHAEL AUST

Wenn die Dame den Fächer ans linke Ohr hielt, hatte man verloren. „Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt“, bedeutete diese Geste. Die Abfuhr musste im 18. Jahrhundert gar nicht ausgesprochen werden: In den Salons der Wertherzeit reichte ein Wink, um dem Gegenüber Ablehnung oder Zuneigung zu signalisieren. Heute heißen die Anbahnungssalons Internet-Chat oder SMS-Flirtparty. Die Liebe gesteht man sich dort per Smiley.

Nun wird gerne geklagt, dass die Paare des 21. Jahrhunderts nur auf prosaische Weise miteinander kommunizieren. Viele Sprachen der Liebe sind heute fast ausgestorben – und welches Paar schreibt sich eigentlich noch regelmäßig Briefe? Doch solche Kulturkritik läuft ins Leere, denn die Liebeskommunikation ist nicht ärmer geworden. Sie hat sich nur differenziert.

Routine und Abweichung

„Man hat heute eine viel breitere Medienwahl, um romantische Kommunikation zu betreiben“, sagt Jannis Androutspoulos von der Uni Hannover. „Das ist ein Gewinn gegenüber früheren Zeiten.“ Während seine Eltern in den 70ern ihre Fernbeziehung lange Zeit nur über Briefe aufrechterhalten konnten, haben Paare heute die Wahl, auf welchem Weg sie ihre Gefühle mitteilen: über Telefon, SMS, MMS, Chat, E-Mail – oder ganz klassisch im Brief? Jedes Medium habe seine eigene Funktion, meint Androutspoulos: „Deshalb stimmt es nicht, dass die schnelleren Kommunikationsmittel die alten ersetzt haben.“ Briefe wurden nicht verdrängt, nur ihre Funktion hat sich geändert.

„Jedes Paar definiert ein Alltagsmedium – etwa Telefon oder E-Mail –, das primär dazu dient, den Kontakt aufrechtzuerhalten“, erklärt Androutsopoulos. Wenn Liebespaare heute auf Briefe zurückgriffen, zum Jahres- oder zum Valentinstag etwa, habe das meist einen bestimmten Effekt. „Allein durch die Wahl des Mediums setzen die Liebenden ein Zeichen, die Handschriftlichkeit markiert eine Bedeutung.“ Das funktioniere aber nur durch die Abweichung von der Routine. Eine Möglichkeit, die Paare in früheren Zeiten nicht hatten.

Die SMS, meint der Sprachwissenschaftler Alexander Roesler, habe „neue Möglichkeiten für den Liebesdiskurs“ eröffnet: „Die SMS-Botschaft ist die Verkörperung von Augenblicklichkeit und entspricht somit dem Liebesgefühl.“ Eine SMS bedeute nicht nur „Ich denke an dich“, sondern: „Ich denke jetzt an dich“. Zwar könne man im Gegensatz zur E-Mail seinen Gefühlen auf 160 Zeichen wenig Raum geben. Aber Knappheit sei immer auch eine Chance: „Der Umgang mit Mangel setzt Kreativität frei und kann dadurch zur Verstärkung der Liebe führen.“

Von Tisch zu Tisch

Wie kreativ Menschen in den vergangenen tausend Jahren waren, um ihre Liebe mitzuteilen, kann man derzeit in der Ausstellung „Liebe.komm“ im Berliner Museum für Kommunikation erleben. In der multimedialen Ausstellung sind etwa Rohrtelefone zu sehen, eine Erfindung, mit denen die Besucher des Berliner Tanzlokals Resi bis in die 70er von Tisch zu Tisch anbandeln konnten.

Und die erste Kontaktanzeige Deutschlands – erschienen 1738 in den Franckfurter Frag- und Anzeigs-Nachrichten – zeigt, dass die Liebeswünsche auch im digitalen Zeitalter dieselben geblieben sind: „Ein honettes Frauenzimmer ledigen Standes, guter Gestalt, sucht ...“

Ein weiteres in Zeiten des iPod fast vergessenes Liebeskommunikationsmittel findet sich hier: das selbst aufgenommene und beschriftete Mixtape mit Lieblingsliedern für die Liebste.

Sogar über das Fächer-Winken kann man hier einiges lernen. Den Fächer über die Wange gleiten lassen, das bedeutet übrigens: „Ich liebe dich“.