Der Billig-Mussolini

Heruntergekommene Berufe. Heute: Der Supermarktleiter (Experte für Gammelfleisch)

Früher hieß dieser Typus Beutelschneider, Wegelagerer oder schlicht Straßenräuber

O ja, das Leben ist gepflastert mit Demütigungen. Ich sage nur Darmspiegelung, TÜV, Beichtstuhl, Fußballstadion, Steuerprüfung, Lebensabschnittspartnerschaft. Neben diesen, von der Erniedrigungsforschung längst akkurat vermessenen Territorien, steht der Supermarkt als Solitär in der Landschaft. Unter seinem Flachdach stapeln sich Beschämungen gleich palettenweise: Gammelfleisch, Gift-Gemüse und als Billigbier getarntes Abwasser verätzen die Geschmacksnerven, der Service dümpelt von Lidl bis Plaza auf bulgarischem Niveau, Jahrgang 1973. Und das Schlimmste ist, niemand kommt an diesem Mahnmal der Schande vorbei.

Auch ich stoße täglich gegen die Einkaufsmauer der Ignoranz, da mein anatolischer Kleinkrämer seit Jahren die Bestellung von Fruchtbuttermilch verweigert: „Kaufe keiner die Ssseisse“. Ohne Fruchtbuttermilch kann ich aber nicht leben. Also bin ich wieder hin zum Billig-Markt und mit Tunnelblick Richtung Kühlregal getapst.

Hier wohnt Buttermilch stets zwischen Joghurt, Sauerrahm und Kefir. Sauerrahm und Kefir stehen auch fein aufgereiht und griffbereit da, ebenfalls Buttermilch ohne Fruchtgeschmack, die „mit“ und das Joghurt sind jedoch nicht aufzufinden. Gibt’s doch gar nicht, rauscht es mir durch den Schädel. Der Mann im linken Ohr rät, dem nächstbesten Weißkittel entgegenzubellen, wo bitte schön meine Fruchtbuttermilch abgeblieben sei. Macht man aber nicht. Erstens ist Personalanbellen nicht die feine Art, zweitens ist sowieso nie welches aufzufinden, wenn man’s braucht. Sagt der Mann im andern Ohr, auch gut, gestern Nacht war’s spät, bist noch nicht ganz da, guckste lieber noch mal hin – und schon sitzt man in der Demutsfalle: Man beugt das Kreuz, schiebt den Hals nach vorn und stiert auf die Auslage wie ein kurzsichtiger Waldkauz auf Mäusepirsch. Das sieht recht dämlich aus, sagt der Mann im linken Ohr. Klar, sieht das dämlich aus. Aber was soll man machen? Immerhin ist man dabei nicht allein, genau genommen ist der ganze Supermarkt bevölkert von kurzsichtigen Waldkäuzen, die verzweifelt an Regalen entlanghüpfen, weil gerade das, was man sucht, nicht da ist, wo es hingehört.

Es kann auch gar nicht da sein, denn der Supermarktleiter hat alles versteckt und den Weg zum gewünschten Artikel mit allerlei „Roll-Back-Preis“-Schildern verbaut, in der Gewissheit, dass sich die Nachkommen von Voltaire, Kant und Marx anstandslos zu willfährigen Endverbrauchern herabwürdigen lassen.

Über das Reich aus Ramsch und Niedertracht herrscht der Supermarktleiter mit diktatorischer Perfidie. Er ist sozusagen der Discounter der Demütigungen. Seine Profession heruntergekommen zu nennen, wäre ein Euphemismus erster Güte. Früher hieß dieser Typus Beutelschneider, Wegelagerer, Straßenräuber. Und ein rechter Schinderhannes ist er noch heute.

Und da steht er auch schon. Klein, dicklich, Schnauzbart, tückischer Blick. „Fruchtbuttermilch?“, setzte ich dem Spitzbuben die Pistole auf die Brust. „Neben der Molke“, raunzt er zurück und zeigt mit dem Wurstfinger auf eine verhärmte 1-Euro-Kraft, die sich müht, meine Fruchtbuttermilch neben der Molke zu platzieren, dafür allerdings Quark und Schimmelkäse aus- und neben dem Camembert einsortieren muss, was aber nicht geht, ohne den Vanillepudding nach rechts, die Schokocreme nach links zu rücken, also Parmesan und Kochkäse heraus und unter die Sardellenpaste oder über die Heringsfilets … – „Tempo, sonst ab zum Arbeitsamt“, schnarrt der Billig-Mussolini dem Lohnsklaven ins ausgemergelte Gesicht und verschwindet, um neuen Teufeleien wider Kund- und Gewerkschaft auszubrüten.

Das unterbezahlte Personal rächt sich seinerseits im Lager, wo Büchsen und Becher aufgebrochen, halb ausgelöffelt und dann, angereichert mit Zigarettenkippen und einer Portion kehligem Auswurf, ins Regal gestellt werden. Der Verbraucher nimmt dies hin, macht den Waldkauz und steht sich an der einzig offenen Kasse die Beine in den Bauch. Höchstens wird mal ein wenig geklaut. Doch selbst daraus wissen die Supermarktleiter noch Kapital zu schlagen. Wie der Wiener Standard kürzlich meldete, hat ein besonders abgefeimtes Exemplar weibliche Langfinger zu Aktaufnahmen gezwungen. „Eigenmächtig installierte er Videokameras und spähte seine Opfer aus. Eine Frau hatte nur eine Creme ausprobiert, andere gar nichts. Dennoch ‚nagelte‘ er sie fest.“

Doch die Geduld der Konsumenten ist, scheint’s, aufgebraucht. Wenige Tage nach dem Prozess gegen den Wiener Erpresser stirbt in der Josefstadt ein Supermarktleiter im Kugelhagel eines Ladendiebes, kurze Zeit später findet man auf dem Hamburger Aussichtspunkt Tutenberg den Chef des Stellinger Minimal Marktes, das Gesichts von einer Ladung Schrot zersiebt. Weitere Überfälle auf Supermarktleiter melden die Städte Graz, Flensburg und Kollund in Nordschleswig.

Wir empfehlen dringend zur Beruhigung der Lage ein wenig Bibelstudium, zum Beispiel Apostelgeschichte 3, 19.: „So tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden ausgetilgt werden.“ MICHAEL QUASTHOFF