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Archiv-Artikel

In der Love-WG

NEUNZIGER Die Schau „Wir sind hier nicht zum Spaß!“ im Kunstraum Kreuzberg blickt angenehm unnostalgisch zurück auf die goldene Ära der Berliner Subkultur

Subkultur im Gespräch

Begleitprogramm, ab 19 Uhr:

 Dienstag, 9. Juli: Elektronische Lebensaspekte. Talk mit Joachim Blank, Robert Henke u. a. Moderation: Andreas L. Hofbauer

 Dienstag, 23. Juli: Kolonialisierung des Nachtlebens. Talk mit Daniel Pflumm, Jan Kage, Tobias Rapp, Moderation: Claudia Wahjudi

 Dienstag, 30. Juli: galerie berlintokyo. Buchpräsentation/Talk mit Martin Eberle

 Dienstag, 6. August: I’m glad I can’t remember. Filmscreening/Talk mit Tine Neumann

 Donnerstag, 8. August: „Die ersten Tage von Berlin – Der Sound der Wende“. Lesung/Talk mit taz-Autor Ulrich Gutmair

 Dienstag, 13. August: Wem gehört die Stadt? Talk mit Jesko Fezer, Lutz Henke und Dolly Leupold, Moderation: Ute Adamszewski

VON JENS UTHOFF

So wie hier ungefähr muss es oft gewesen sein, am Tag danach. Ein abgerockter, vermüllter Kellerraum, jede Menge Bierflaschen liegen am Rand. In der Ecke steht ein Mischpult, davor zwei Kaffeebecher. In einem Regal liegen zwei alte Fernseher, einer vertikal, einer horizontal. Man sieht mit Alufolie umklebte freiliegende Rohre. Die Wand ist rot besprüht, darauf zu lesen sind „Gesellschaft“ und „Fick“.

Der Fotograf Martin Eberle nahm dieses Foto 1996 bei der Abschlussparty der „galerie berlintokyo“ auf, einer Location, die in den Neunzigern Kunst und Clubkultur verband. Dieses Bild, das hier als Tapete eine ganze Wand bedeckt, mag zunächst einfach nur an die subkulturelle Berliner Partyszene erinnern. Denkt man aber Hintergründe und Aufnahmedatum mit, so kann man es auch pars pro toto lesen: für den Umbruch auf allen Gesellschaftsebenen, den Berlin in den Neunzigern erlebt hat.

Die Ausstellung „Wir sind hier nicht zum Spaß!“, die von heute an im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu sehen ist, sieht sich in erster Linie der musikalischen und künstlerischen Subkultur des Neunziger-Jahrzehnts verpflichtet. Die von dem DJ und Soundcollagisten Paul Paulun und dem Kunstraum-Leiter Stéphane Bauer kuratierte Schau stellt Foto-, Film- und vor allem Audiomaterial aus dieser Zeit aus. Zu den Ausstellenden gehören unter anderen der Maler Jim Avignon, „Elektro“-Clubgründer Daniel Pflumm und Videokünstler Torsten Oetken.

„Wir sind hier nicht zum Spaß!“ ist Teil einer Welle der Historisierung, mit der Berlin derzeit diese spannenden und für das Verständnis der Szene so prägenden Jahre aufarbeitet. Erstaunlich an der Kreuzberger Ausstellung ist, was für vielfältige Aspekte des Wandels sie anspricht. Denn die Aneignung von Freiräumen im Ostteil der Stadt war nicht nur ein großes Versuchslabor unter dem Motto „Alles auf Anfang“ – sie warf auch wohnungs- und kulturpolitische Fragen auf.

Sie waren also tatsächlich nicht nur zum Spaß da. „Die Frage war auch: Wie wollen wir leben, wie wollen wir politisch agieren?“, sagt Bauer, der zu dieser Zeit zumindest einige der Subkultur-Orte häufig aufgesucht hat. „Es gab nach der Wende so viele Brachen und Räume, die neu definiert werden mussten, die sollten es uns möglich machen, politisch-utopistische Räume zu schaffen.“ Die Ostbürgerbewegung sei auf die Westsozialisierten getroffen. Einige jener Räume begriff man mit Beuys als Soziale Plastik.

Zentral in der Schau ist ein Hörstück von Paul Paulun, früherer DJ der „Radiobar“, die an verschiedenen Orten der Stadt von 1992 bis 1995 stattfand. Aus 30 Interviews, die Paulun geführt hat, hat er einen 110-minütigen Zusammenschnitt erstellt, der durchgehend läuft und durch Visualisierungen ergänzt wird. Es ist ein Stück im Sinne der Oral History, wobei die Sprechenden entindividualisiert werden, gemäß dem Beckett-Satz: „Wen kümmert’s, wer spricht?“ Die kollektiven Strukturen sollen schließlich exponiert werden.

Mit Sponti-Attitüde

Vor allem die Do-it-yourself-Ästhetik und Sponti-Attitüde – lass uns mal kurz ein Haus besetzen – der damaligen Aktivisten tritt dabei zutage. Betrachtet man die Reguliertheit der urbanen Räume und den ökonomischen Druck in der Berliner Subkultur heute, kann man verstehen, wenn Stéphane Bauer sagt: „Man muss aufpassen, nicht ins Schwärmen zu geraten.“

Die Schau widersteht – dem Auftrag eines Museums entsprechend – dieser Versuchung zum Großteil. Denn insbesondere der Aspekt, dass Westler sich prinzipiell kolonialistisch verhielten, wird thematisiert. Man macht sich auch keine Illusionen darüber, dass nicht aus den hier geschaffenen Strukturen heraus das durchkommerzialisierte Berliner Club- und Nachtleben von heute entstanden ist. „Die Ausstellung soll auch Selbstreflexion sein“, sagt Bauer.

So wird in einer Installation, mit der Penko Stoitschev den von ihm begründeten „sensor-Kunstraum“ in Prenzlauer Berg (1995–1997) nachstellt, das Kunstverständnis der damaligen Kollektive vermittelt. „Der sensor war ein riesiges Gebäude in einem ehemaligen Schwimmbad“, berichtet Stoitschev. „Es ging uns darum, auf diesen 500 Quadratmetern Erlebnisräume zu schaffen, die Besucher sollten ihre Sinne neu entdecken.“ Musik dröhnte nur aus dem Keller, die Bar war nebensächlich. Es gab große Räume der Stille und solche, in denen man sich hinlegen konnte und Videoprojektionen an der Decke sah.

Sphärische, klirrende Klänge sind in Stoitschevs audiovisuellem Projekt zu hören – eine Reminiszenz an den sensor. Fast muss man bei seinem Konzept an Herbert-Marcuse-Prämissen denken: „Die heutigen Rebellen wollen neue Dinge in einer neuen Weise sehen, hören und fühlen; sie verbinden Befreiung mit dem Auflösen der gewöhnlichen und geregelten Art des Wahrnehmens“, schrieb er 1969. Die Rebellen vom sensor scheinen sich noch mal an diese neue Sinnlichkeit herangewagt zu haben.

Schließlich wird auch ein großes Stück Kommunikationsgeschichte im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien erzählt. Die Szene kommunizierte vor allem über Flyer und Mund-zu-Mund-Propaganda, es war die letzte prädigitale Untergrundkultur. Flyer-Sammler Mike Riemel, der ein Archiv von mehr als einer Million besitzt, zeigt ausgewählte Exponate aus jener Zeit. Und dann sind mit „Internationale Stadt“ auch die ersten hiesigen Internetprojekte und Foren aus jener Zeit zu sehen.

„Wir sind hier nicht zum Spaß!“ holt eine Epoche ans Licht, die, vom mittlerweile touristisch usurpierten Haus Schwarzenberg mal abgesehen, im Dunkeln lag. Orte wie der „Eimer“, der „Friseur“, die „Love-WG“ oder der „Sniper“ bleiben dadurch zumindest museal erhalten. Zu den jüngsten Buchveröffentlichungen zu dieser Berliner Zeit ist das hier der visuelle und auditive Bonustrack.

■  „Wir sind hier nicht zum Spaß! Kollektive und subkulturelle Strukturen im Berlin der 90er Jahre“. Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, 29. Juni bis 25. August, täglich 12 bis 19 Uhr