: Der Dativ kommt beim Dribbeln
Erst den Ball treten, dann Grammatikaufgaben büffeln: Ein Dortmunder Wissenschaftler entwickelt ein Programm zum Deutschlernen für Migrantenkinder. „In den Klassenräumen sitzen sie doch wie dressierte Meerschweinchen“
Geschickt dribbelt Paulo auf den Strafraum zu und jagt den Fußball mit Wucht in den Torwinkel. Sofort nach dem Schuss setzt sich der Schüler an einen zum Schreibtisch umfunktionierten Turnkasten und löst Grammatikaufgaben. Heißt es „dein“ oder „deine“ Hund?
So stellt sich der Dortmunder Sprachwissenschaftler Uwe Wiemann den Deutschunterricht vor, den er unter dem Titel „Die Welt spricht Fußball“ entwickelt hat. Durch eine Kombination aus Fußball und Sprachkurs sollen Kinder aus Migrantenfamilien ihre Deutschkenntnisse verbessern. „Wir wollen bei den Schülern mit Hilfe ihrer Sportbegeisterung wieder den Spaß am Lernen wecken“, sagt Wiemann. Ab März wird das Projekt an einer Nürnberger Hauptschule getestet.
„Wenn die Kinder den ganzen Vormittag wie dressierte Meerschweinchen in der Klasse sitzen, ohne sich zu bewegen, ist das extrem kontraproduktiv“, sagt Wiemann. Deshalb sind in seinem Konzept Lernen und Bewegung eng verzahnt. Die Grundlagen werden im Klassenzimmer gelegt und anschließend in der Sporthalle mit Übungen vertieft. Zum Beispiel kann der Lehrer Fragen stellen, während sich die Schüler gegenseitig den Ball zuspielen: „Wessen Ball ist das?“ Je nach Spielsituation müssen die Kinder entweder antworten „das ist mein Ball“ oder „das ist sein Ball“.
„Die Welt spricht Fußball“ ist nicht das erste sportliche Lernmodell, das Wiemann entwickelt hat. Seit zwei Jahren vertreibt der Linguist seine Lehrmaterialien „Deutsch für Ballkünstler“, mit denen zum Beispiel die ausländischen Fußballprofis von Bayer Leverkusen arbeiten. Weltmeister wie die Brasilianer Lucio und Roque Junior haben sich so den nötigen Wortschatz für den Trainingsplatz angeeignet. Wiemanns Profiprojekt ging durch die Medien. Außer Leverkusen interessierten sich aber nur drei weitere Clubs für die Idee.
Auch das neue Schulkonzept des Linguisten schien zunächst erfolglos zu bleiben. Befürworter des Modells fanden sich zwar reichlich, finanzieren wollte es aber lange niemand. „Ich habe schon gar nicht mehr an eine Umsetzung geglaubt“, sagt der Wissenschaftler. Doch im Dezember des vergangenen Jahres erklärte sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg dazu bereit, das Projekt in seiner Pilotphase als Hauptsponsor zu tragen.
Ab März werden nun 22 Schülerinnen und Schüler an der Nürnberger Scharrerschule Wiemanns Konzept in der Praxis testen. Zwei Stunden pro Woche werden die Fünft- und Sechstklässler aus der Türkei, Indien, dem Irak, Brasilien, Italien und Osteuropa Flugkopfbälle üben und dabei Pronomen pauken. Betreut werden sie von einem Sport- und zwei Sprachlehrern. Die Deutschlehrer arbeiten sonst für den Nürnberger Verein zur Förderung von Bildung und Ausbildung (VBA), der das Projekt vor Ort betreut.
Zur Vorbereitung machte der Verein an der Schule einen Sprachtest, um den Leistungsstand der Kinder einzuschätzen. „Wir hätten es uns nicht so schlimm vorgestellt“, sagt VBA-Leiter Peter Stein. Alle Projektteilnehmer stehen im Fach Deutsch zwischen den Notenstufen vier und sechs. „Unser Ziel ist es, dass sich jeder Schüler um eine Stufe verbessert“, sagt Manfred Silberhorn, Konrektor der Scharrerschule. Stein ist sich allerdings nicht sicher, ob die Schüler diese Vorgabe in den nur 13 „Trainingseinheiten“ erfüllen können. „Die haben keine Ahnung von Groß- und Kleinschreibung, die wissen nicht, was ein Nomen ist“, sagt der VBA-Leiter.
Am Ende der 13 Wochen wird ein weiterer Sprachtest zeigen, ob sich die Schüler verbessert haben. Sollte das der Fall sein, wird das Projekt wahrscheinlich ausgeweitet. Weitere Schulen haben bereits Interesse gezeigt.
JOHANNES EBERHORN (DPA)