: Finanzminister quält Finanzsenator
Nun bekommt Thilo Sarrazin auch noch Gegenwind vom Bundesfinanzminister. Heute muss er sich vor seinem Parteifreund Peer Steinbrück rechtfertigen, weil er Ostfördermilliarden falsch einsetzte. Sarrazin bestreitet das
Der Bund erhöht den Druck auf Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). Im Bundesfinanzministerium ärgern sich die Bürokraten, dass Sarrazin Milliarden, die er für Investitionen erhält, in Konsum und Schuldendienst steckt – und zwar viel stärker als die ostdeutschen Finanzminister. Sarrazins Parteifreund, Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, will das ändern.
Es geht um Mittel, die Berlin zusätzlich zum Länderfinanzausgleich erhält. Das sind jährlich 2 Milliarden Euro; rund 10 Prozent des Landeshaushaltes. Viel Geld für eine klamme Stadt. Mit ihm sollen „teilungsbedingte Sonderlasten“ – vor allem bei der Infrastruktur – abgebaut werden. Anders als in den neuen Ländern, die 2004 im Schnitt immerhin 39 Prozent der Mittel in Kita- oder Straßensanierung investierten, steckte Sarrazin das Geld komplett in die Konsumtion, vor allem ins Personal. Das ergebe ein „dramatisches Missverhältnis“ zwischen den Ausgaben für Infrastruktur (56 Euro je Einwohner) und denen für neue Kredite (1.092 Euro je Einwohner), heißt es in einer internen Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums zu den „Fortschrittsberichten Aufbau Ost“, die die neuen Länder und Berlin vorlegen müssen. „Eine sofort beginnende tief greifende Reduzierung der konsumtiven Ausgaben dürfte ohne Alternative sein“, so die Folgerung.
Thilo Sarrazin weist die Kritik von sich. Auch heute wird er das tun, wenn er und seine Länderkollegen mit Peer Steinbrück im so genannten Finanzplanungsrat das Thema diskutieren. „Wir schnallen den Gürtel ja schon enger und nutzen radikal alle Spielräume zum Kürzen“, sagt sein Sprecher Matthias Kolbeck. Berlin könne nicht mehr investieren, ohne die Haushaltssanierung zu gefährden. „Das geht nur mit weiteren Schulden.“
Für Sarrazin ist die Situation schwieriger geworden: Schon als NRW-Landeschef kritisierte Peer Steinbrück die Ostförderung scharf: „Unsere Haushaltslöcher [in NRW; d. Red.] sind zu 50– 60 Prozent bedingt durch das, was wir im Solidarpakt in die neuen Länder übermittelt haben“, sagte er in einem Spiegel-Interview.
Im Abgeordnetenhaus schließen sich viele der Kritik an Sarrazin an, zumindest teilweise. Grüne und Linkspartei sind sich einig, dass unter der Ägide des Senators viel gespart wurde. Einig sind sie sich aber auch, dass es besser ginge. Linkspartei-Finanzexperte Carl Wechselberg sieht allein beim Personal ein jährliches Sparpotenzial im dreistelligen Millionenbereich, „ohne dass es an die Substanz ginge“. Und die Grünen glauben, mit Bürokratieabbau und Verwaltungsreform sei noch viel zu sparen. „Die Investitionsquote ist katastrophal“, sagt Oliver Schruoffeneger, „Wir verschieben die Lasten nur in die Zukunft.“
Ein profilierter Finanzexperte sieht das anders. „Berlin muss man bei der Diskussion völlig außen vor lassen, weil es in einer extremen Hauhaltsnotlage ist“, findet Helmut Seitz, Professor für Finanzwissenschaft an der TU Dresden. Selbst mit einem knallharten Sanierungskurs, wie ihn Sarrazin fährt, könne man den Karren nicht aus dem Dreck ziehen. „Berlin kann nicht mehr investieren und gleichzeitig nach Karlsruhe traben.“ Damit meint er Berlins Verfassungsklage, über die ab 26. April verhandelt wird. Sarrazin will milliardenschwere Hilfen von Bund und Ländern. Andernfalls drohe der finanzielle Kollaps.
Heute muss Sarrazin erst einmal eine gute Figur bei Steinbrück machen. Der wird nicht so schnell klein beigeben. „Wir wollen gemeinsam Wege finden, wie wir die Mittel sachgerecht verwenden. Das ist aber kein Ding, wo man einfach nur einen Schalter umlegt“, sagt Steinbrück-Sprecher Stefan Olbermann. „Es ist sehr komplex.“ Zumindest darin sind sich Sarrazin und Steinbrück einig. ULRIKE HEIKE MÜLLER