: Was ist im Outfit drin?
Auf der BioFach 2006 stellt der Anbauverband Naturland das erste zertifizierte Ökotextil-Projekt vor. Kaum jemand will bislang wissen, welche Substanzen die eigene Kleidung enthält. Ambitionierte Anbieter müssen am Image feilen
VON MARTINA JANNING
Der erste Eindruck überrascht: Das sind Ökoklamotten? Sehen gar nicht so aus! In der Kollektion von Hess Natur finden sich Pullis in knalligem Pink, T-Shirts mit zarten Spitzenbordüren, figurbetonte Sommerkleider. Vorbei die Zeiten, in denen Ökomode per se farblos, grob gestrickt und unförmig war. Dass eine Bluse oder eine Hose aus kontrolliert biologischem Anbau stammen und umweltverträglich verarbeitet wurden, offenbart heute oft erst ein Blick aufs Etikett – oder ein Label.
Der Anbauverband Naturland hat sich daher Mitte Dezember Richtlinien für Ökotextilien gegeben. Das Naturland-Zeichen dürfen danach nur noch „saubere“ Stoffe und Kleider tragen, die aus ökologischem Anbau stammen und unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt werden, die den Anforderungen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entsprechen. Auf der BioFach 2006 stellt Naturland das erste zertifizierte Ökotextil-Projekt vor. Dabei handelt es sich um Bio-Baumwolle aus Gujarat an der Westküste Indiens, von Kleinbauern angebaut und im Land zu Bettwäsche und Handtüchern verarbeitet.
Bei seinen Kriterien hat Naturland sich am Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) orientiert. Dieser Zusammenschluss von derzeit 60 Herstellen und Verarbeitern zertifiziert seit 1999 bio-faire Naturtextilien. „Das wichtigste deutsche und europäische Siegel in diesem Bereich“, urteilt Ralf Schmidt-Pleschka vom Bundesverband der Verbraucher Initiative. Das Logo „Naturtextil“ gibt es in zwei Ausführungen: „Better“ erfüllt ökologische und soziale Basiskriterien, „Best“ steht für die derzeit höchsten realisierbaren Ökostandards in der Textilbranche. Beide Qualitätszeichen bewerten die Umweltverträglichkeit während der gesamten Produktion und das Erfüllen sozialer Anforderungen. Das Siegel wird jeweils für ein Jahr vergeben. Unabhängige Institute überprüfen das Einhalten der Kriterien in jeder Produktionsstufe. Damit geht die IVN- Auszeichnung sehr viel weiter als der „Öko-Tex-Standard 100“. Der prüft lediglich fertige Textilprodukte auf bestimmte häufig vorkommende Schadstoffe wie Formaldehyd, Krebs erregende Farbstoffe, Pestizide und Schwermetalle, für die Grenzwerte festgelegt sind.
Um das blaue Best- oder das rote Better-Logo tragen zu dürfen, müssen die Fasern aus ökologischem Anbau stammen. Herrscht Mangel an denen, dürfen Unternehmen vorübergehend konventionell erzeugte Fasern einsetzen. Nähgarn, Futter oder Knöpfe müssen aus Naturfasern oder nachwachsenden Rohstoffen sein, nur in Ausnahmefällen aus synthetischem Material. Besonders umweltschädliche Verarbeitungsmethoden sind verboten. Dazu zählen der Einsatz von optischen Aufhellern, Formaldehyd und Glanzmitteln, das Chlorieren von Wolle oder das Verwenden von Mottenschutzmitteln. Azo-Farbstoffe sind ebenso untersagt wie Allergie auslösende und giftige Farbstoffe. Um die sozialen Mindeststandards zu erfüllen, dürfen zum Beispiel keine Kinder unter 14 Jahren beschäftigt werden, ist der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn zu zahlen und für soziale Absicherung bei Krankheit zu sorgen.
„Bis heute ist es extrem schwierig, den Textilbereich mit ökologischen und sozialen Standards in Verbindung zu bringen“, urteilt Schmidt-Pleschka. Das gilt für Produzenten, aber auch Verbraucher. „Es wird nach Gefühl gekauft, weniger nach Verantwortungsbewusstsein.“ Naturtextilien sind nach wie vor ein Nischenprodukt. „Ihr Marktanteil liegt bei unter einem Prozent“, schätzt Gabriele Kolompar, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des IVN. Genaue Zahlen gibt es nicht.
Wie mehr Menschen für Ökokleider begeistert werden könnte, beschäftigte Wissenschaftler der Universität Oldenburg. 2002 stellten sie die Ergebnisse ihres vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts vor. Hersteller und Anbieter sollten „Understatement-Marketing“ betreiben, lautet ihr Rat. Konkret: Umweltargumente nur sparsam verwenden. Denn nach einer Kundenstudie entschieden weniger die tatsächlichen Produkteigenschaften über einen Kauf als vielmehr das Image der angebotenen Kleidung.
„Alte Wahrnehmungsmuster müssen aufgebrochen und der Begriff Ökologie im Bekleidungsbereich neu und positiv besetzt werden“, betont Wirtschaftswissenschaftlers Dirk Fischer. Das Ziel müsse lauten, schicke Mode zu produzieren, die neuen Trends folgt und allen Kunden tragbar erscheint. Hersteller sollten mit innovativen Designkonzepten Marktsegmente erschließen, die jenseits der heutigen Zielgruppen von Ökotextilien liegen.
Hess Natur verfolgt diese Strategie schon länger. Seine Kollektion steht konventioneller Mode in Form und Farbe in nichts nach. Dennoch ist bei Öko-Outfits nicht alles möglich. „Unsere Designer stoßen immer wieder an Grenzen“, erklärt Pressesprecherin Verena Kuhnert. Aber das sei auch eine Herausforderung. „So entstand eine neue Stricktechnik, die Stoffe ohne synthetisches Elastan dehnbar macht. Ein anderes Beispiel ist eine Jacke, die mit Bienenwachs imprägniert wird.“
Weitere Informationen zum IVN-Siegel unter www.naturtextil.com