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Weiße Weihnacht, ade

Das Kioto-Protokoll ist seit einem Jahr in Kraft. Doch ist ein Anstieg der Temperatur um 1 Grad nicht mehr zu verhindern, sagen Forscher

Nie war so viel vom Nordmeer zu sehen wie im vergangenen Jahr

AUS HAMBURGGERNOT KNÖDLER

Ein weißer Winter wie der diesjährige wird zur Ausnahme. Bis zum Ende unseres Jahrhunderts wird es in Europa 80 bis 90 Prozent weniger schneien als heute, in den Höhenlagen der Alpen ein Drittel bis die Hälfte weniger. So zumindest die jüngsten Klimaprojektionen des Hamburger Max-Planck-Instituts (MPI) für Meteorologie, die heute und morgen auch auf einem Extremwetterkongress an der Universität Hamburg eine Rolle spielen werden.

Ein Jahr nach Inkrafttreten des Kioto-Protokolls zum Klimaschutz hat das Thema in ungeahnter Weise an Aufmerksamkeit gewonnen. Das Wettermagazin als Veranstalter hatte mit 150 Teilnehmern gerechnet. 400 haben sich angemeldet. Professor Mojib Latif, Meteorologe beim MPI, wird ihnen mit wenigen Strichen ein dramatisches Bild zeichnen. In Deutschland wird es im Winter heftige Stürme mit Wolkenbrüchen geben. Im Sommer wird es über Wochen gar nicht regnen. Ein Teil dieser Entwicklung ist bereits heute nicht mehr abwendbar. „Der Klimawandel selbst ist eigentlich nachgewiesen“, sagt Latif.

Niemals in den vergangenen 450.000 Jahren enthielt die Erdatmosphäre so viel vom Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) wie im vergangenen Jahr. 2005 war das wärmste der letzten tausend Jahre. Allein in den vergangenen hundert Jahren hat sich die Erdatmosphäre um 0,8 Grad Celsius erwärmt. Seit Mitte der 1970er-Jahre ist das arktische Packeis um ein Fünftel geschrumpft. Nie war so viel vom Nordmeer zu sehen wie im vergangenen Jahr.

Die Wetterstation auf dem bayerischen Hohenpeißenberg verzeichnet heute vier bis fünf extreme Regenfälle, Schneestürme oder Hagelschauer pro Jahr. 1879, als die Station mit ihren Aufzeichnungen begann, waren es zwei bis drei pro Jahr. 2005 ist der seit 1933 geltende Hurrikan-Rekord eingestellt worden. Mit 26 gegenüber 21 gab es die meisten dieser Stürme, die zugleich die stärksten waren und sich am weitesten außerhalb der Tropen befanden.

Zufall? Die Klimaforscher vom MPI halten das nicht für wahrscheinlich. „Es gibt keine wissenschaftliche Arbeit, die zeigen würde, dass es einen anderen Faktor als vom Menschen verursachte Emissionen gibt, der die massive Erwärmung der vergangenen Jahrzehnte erklären könnte“, sagt Martin Claussen, Professor für Meteorologie an der Uni Hamburg. Sein Kollege Latif schreibt zwei Drittel der Erderwärmung dem Menschen zu, ein Drittel der Natur, vor allem der verstärkten Sonneneinstrahlung.

Mit ihren Klimamodellen können die Forscher die Entwicklung der vergangenen 150 Jahre recht gut simulieren. Ob die Voraussage für die nächsten 100 Jahre gelinge, hänge vor allem von der Wahl des Szenarios ab, sagt Claussen. Die Modelle des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) beschreiben Entwicklungspfade der Menschheit. Das schlechteste geht von einer Welt mit großen Entwicklungsunterschieden aus, das beste von einer Welt, die sich global nachhaltig entwickelt, aber ohne zusätzlichen Klimaschutz.

Unter diesen Vorgaben erwarten die MPI-Forscher, dass die Atmosphäre bis 2100 um 2,5 bis 4 Grad Celsius wärmer wird. Die feuchten Klimazonen werden feuchter, die trockenen trockener. Dem Mittelmeerraum geht das Trinkwasser aus. Der Meeresspiegel wird um 30 bis 40 Zentimeter ansteigen. Die Luftreinhaltung wird die Erwärmung verstärken, weil mehr Sonnenlicht zur Erdoberfläche durchdringen kann.

Doch das Klima ist träge, die Auswirkungen zeigen sich mit Verspätung. „1 Grad Temperaturanstieg in den nächsten 100 Jahren haben wir schon gepachtet“, sagt Claussen. Andererseits könne der Treibhausgas-Ausstoß auch noch 10 oder 20 Jahre wachsen, bis die Folgen dramatisch würden, vermutet Latif.

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