: Am Anfang war – wie soll es anders sein – der Sex
SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Das Philosophieheft „Hohe Luft“ fagt, was ist guter Sex? „Polar“, zuständig für Politik, Theorie und Alltag, hat Vorschläge
Mama, was ist ficken? Bei der Definition geht es schon los. Muss unbedingt ein Penis im Spiel sein? Mindestens einer oder höchstens einer? Greta Christina erzählt in der aktuellen Polar zum Thema Sex und Befreiung, dass sie Schwierigkeiten bekam, ihre Dates zu zählen, seit sie nicht mehr nur mit Männern und nicht mehr nur mit einer Person aufs Mal schlief.
Fast jeder Artikel nennt den Koitus schon im ersten Satz. „Menschen haben Sex“, eröffnet Svenja Flaßpöhler ihren Text. Da sich die meisten Menschen jedoch in der Arbeit verausgaben und nicht im Bett, ist das gar keine Selbstverständlichkeit. Mit dem Satz „Sex scheitert“ leitet Anna-Katharina Meßmer eine Diskussion über Intimchirurgie ein, die mit der Feststellung schließt, dass Sex auch mit perfekt designten Vaginen scheitern kann. Ein weiterer schöner erster Satz stammt von Johannes von Weizsäcker: Popmusik sei ja vor allem Musik gewordener Sex. Man hofft, dass es besseren Beischlaf gibt, als manche Popmusik vermuten lässt.
Aber: Was ist guter Sex? Diese Frage ist Titelthema des Philosophiemagazins Hohe Luft. Thomas Vašek tut sich ebenfalls schwer mit der Definition von Sex, die noch schwieriger wird, wenn der Akt gut und moralisch sein soll. Vor allem im 21. Jahrhundert, wo bis auf Pädophilie, Inszest und sexuelle Gewalt alles erlaubt ist, was allen Beteiligten gefällt. Vašek unterscheidet schließlich zwischen Sinnlichkeit und Leidenschaft (beides ist gut, aber eben anders) und argumentiert unter anderem mit Sartre, dessen Privatleben den Philosophen mehr für das Thema zu qualifizieren scheint als sein Werk. Fest steht, dass Sex ebenso Machtspiel sein kann wie Praxis des Vertrauens. Oder eine Form der Kommunikation. Wie gut der Sex ist, hängt dann davon ab, welche Bedeutung wir ihm geben. Das zwingt noch niemanden zur Monogamie.
Es folgen Artikel zu schuldigen Robotern, dem Bösen, das aus Gedankenlosigkeit entsteht, zum Neoliberalismus und zu Ichlingen, die in der multimöglichen Gegenwart dahinwabern. Interessant ist es, einige Gedanken von Ina Schmidt mit dem Thema Sexualität zu kombinieren. Die Autorin schreibt über Ernsthaftigkeit. Diese bedeute vor allem, sich zu etwas bekennen zu können. Sie zitiert Nietzsche mit dem Satz, ein Mensch sei reif, wenn er den Ernst wiedergefunden habe, den er als Kind beim Spiel hatte. Bekennen wir uns also ernsthaft zum Sex. Und dann können wir spielen.
Sex aus Langeweile
Das geht in die Richtung, die sich in der Polar als Fazit herauskristallisiert. Der Sexualforscher Gunter Schmidt macht sich in seinem Artikel für einen „nichtmirakulösen“ Akt stark und fragt, was eigentlich gegen Sex aus Langeweile spricht. Nach einigen verpixelten Pornobildern des Künstlers Johannes Wohnseifer zum Thema „how to get your dick as thick as a coke can“ folgen Artikel zu Cybersex, Liebesdrogen und Tierbordellen, zu Prostitution und dazu, wie man darüber sprechen sollte, damit die Diskussion nicht vor lauter Politik zu unwissenschaftlich wird. Oder wie dem Feminismus das Thema Sex abhanden gekommen ist.
Andrea Roedig zitiert Samantha aus „Sex in the City“ mit ihrem Wunsch, „Sex zu haben wie ein Mann – ohne Gefühl“, um dann eine zweite Hälfte vorzuschlagen: Wie wäre es, wenn Männer und Frauen auch selbstverständlich Sex haben könnten wie eine Frau – mit Gefühl?
Höhepunkt des Heftes ist der Essay von Mark Greif über das Erwachsensein. Er überlegt, ob ein Ende der kultischen Verehrung der Jugendlichkeit dazu beitragen könnte, die Pädophilie auszurotten. Und endet mit ein paar Vorsätzen zum Abschreiben: Intellekt statt Enthusiasmus, Autonomie statt Abenteuer, Eleganz statt Vitalität, Bildung statt Unschuld und Erfahrung statt des immer leeren Neuen. Damit hätte jeder alles: eine kindgemäße Kindheit, eine aufregende Jugend und eine elegante Reife. Wer was wie genau macht und wie viel die Beteiligten darüber sprechen, bleibt jedem selbst überlassen.
Meine Mutter hat damals übrigens geantwortet, ficken sei ein unschönes Wort für etwas, das sehr schön sein kann. Sehr schön und sehr gut.
CATARINA VON WEDEMEYER
■ Polar, Nr. 14, Frühj. 2013, 14 Euro Hohe Luft, Ausgabe 4/2013, 8 Euro