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Archiv-Artikel

Ein Vaterlandsverräter und Moralist

VORKÄMPFER Für Kroatiens Expräsident Stjepan „Stipe“ Mesic wurde die Integration seines Landes in die EU zur Lebensaufgabe. In seiner Heimat hat er sich damit nicht nur Freunde gemacht

ZAGREB taz | An Stjepan Mesic scheiden sich in Kroatien die Geister. Der 1934 geborene Expräsident, den alle „Stipe“ nennen, wird gehasst und geliebt. Er ist ein Zuspitzer, ein politischer Provokateur, der kein Blatt vor den Mund nimmt und seine Landsleute ab und an kräftig vor den Kopf stößt. Vor allem, wenn es um Fragen der politischen Moral geht. Seiner Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass Kroatien jetzt EU-Mitglied ist.

Mesic ist bekannt für seinen Humor. Die Lacher waren es, die ihn die Präsidentschaftswahlen 2000 und 2005 mit Zweidrittelmehrheiten gewinnen ließen. Mit dem selbstkritisch-ironischen Ton, der sein politisches Leben begleitet hat, sagt er jetzt, es tue ihm leid, dass die EU-Integration nicht unter seiner Präsidentschaft vollzogen wurde.

Wir sitzen in Mesic’ Büro im Zentrum Zagrebs. Dass sein engster Mitarbeiter und Vertrauter ein Serbe ist, provoziert kroatische Nationalisten. Es heißt, der Expräsident sei Serbenfreund. Mesic lacht, so etwas kennt er. Als er 1965 in seiner Heimatstadt Orahovica in Slawonien als erster Unabhängiger im sozialistischen Jugoslawien Abgeordneter im Parlament der Republik Kroatien und Bürgermeister wurde, diffamierten ihn Teile der kommunistischen Partei sofort als kroatischen Nationalisten.

Später musste der damalige Richter sogar für ein Jahr ins Gefängnis, weil er die Demokratiebewegung Kroatiens, den „kroatischen Frühling“, 1971 unterstützt hatte. 1990 wieder ins kroatische Parlament gewählt, wurde der Mitbegründer der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft HDZ und Parteifreund des neu gewählten kroatischen Präsidenten, Fanjo Tudjman, Delegierter Kroatiens im achtköpfigen Präsidentschaftsrat Jugoslawiens – und dessen Vorsitzender. Damit ist Mesic der einzige Politiker der Welt, der Präsident in zwei Staaten war.

Mesic macht den serbischen Parteiführer Slobodan Milosevic für den Zerfall Jugoslawiens 1990 verantwortlich. Milosevic habe die jugoslawische Verfassung von 1974 ausgehebelt. „Ich habe nach dem Auszug der kroatischen und slowenischen Partei auf dem Parteikongress 1990 und der Auflösung des Bundes der Kommunisten noch versucht, eine Konföderation aller Teilrepubliken mit einer gemeinsamen Regierung vorzuschlagen.“ Aber nicht nur Milosevic’ Serbien, auch Parteiführer anderer Republiken wollten das nicht mehr. Und Milosevic wollte den Krieg.

Milosevic’ Serbien eroberte 1991 fast ein Drittel des kroatischen Territoriums. Mesic bekam mit, dass, obwohl Serbien einen Angriffskrieg in Kroatien führte, Tudjman und Milosevic sich auf die territoriale Aufteilung Bosniens und Herzegowinas zwischen Kroatien und Serbien geeinigt hatten. Tudjmans Kroatien begann 1992 den „Krieg im Kriege“ gegen den bisher nur von Serbien angegriffenen bosnischen Reststaat in Sarajevo.

„Als ich hörte, dass Zivilisten in Lager abgeführt wurden, ging ich zu Tudjman und sagte, so was geht nicht. Er erklärte mir, ich solle mich aus den bosnischen Angelegenheiten heraushalten.“ Mesic brach mit Tudjman, verließ 1994 Regierung und Partei.

Tudjmans Bosnienpolitik ist bis heute ein noch nicht vollständig bewältigtes Kapitel in der Geschichte des jungen kroatischen Staates. Ivo Banac, der wohl bekannteste Intellektuelle des Landes, sieht den militärischen Angriff Kroatiens in Bosnien als historischen „Schandfleck“.

Mit dem Abkommen von Washington 1994 endete zwar diese Episode, Kroatien wechselte wieder die Fronten und eroberte 1995 die von Serben besetzten Gebiete in Kroatien und später zusammen mit den Bosniern auch einen großen Teil Bosniens. Jetzt mussten 200.000 Serben aus Kroatien fliehen.

Während seiner ersten Präsidentschaft versuchte Stipe Mesic wieder gegenseitiges Vertrauen zu Serben und Bosniaken aufzubauen. „Ich habe sogleich Sarajevo besucht.“ Er definierte sich als „Präsident aller Staatsbürger“ Kroatiens – als auch als Staatsoberhaupt der serbischen Minderheit. Und er zwang seinen Nachrichtendienst dazu, geheimes Material an die Chefermittlerin des Den Haager Kriegsverbrechertribunals, Carla Del Ponte, zu liefern, um Kriegsverbrechen aufzuklären.

Für die nationalistische Rechte in Kroatien ist Mesic deshalb bis heute ein „Vaterlandsverräter“. Wenn er das hört, schmunzelt Mesic. Die Geschichte hat ihr Urteil gefällt: Kroatien ist EU-Mitglied. ERICH RATHFELDER