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Archiv-Artikel

Willkommen, Nummer 28!

NEUZUGANG Wirtschaftlich hat Kroatien einigen Aufholbedarf. Potenziale haben vor allem erneuerbare Energien und Landwirtschaft

Wer kommt denn da?

■ Bevölkerung: Im 28. EU-Mitgliedsland Kroatien leben 4,4 Millionen Menschen. Davon sind rund 90 Prozent Kroaten und etwa 5 Prozent Serben.

■ Soziales: Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei ca. 10.000 Euro pro Kopf. 360.000 Staatsbürger sind arbeitslos, 1,1 Millionen Rentner.

■ Wirtschaft: Investitionen werden durch langwierige bürokratische Prozeduren behindert. Die Regierung will die Genehmigungsverfahren mit einem Gesetz beschleunigen. Die Neuverschuldung soll dieses Jahr weiter ansteigen, wobei die Maastricht-Grenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten werden dürfte. (er)

AUS ZAGREB ERICH RATHFELDER

Zwar wurden gestern in allen Städten Kroatiens Festveranstaltungen organisiert, und in der Hauptstadt Zagreb hatten sich viele wichtige Politiker und Diplomaten aus ganz Europa versammelt. Doch von großer Euphorie über den EU-Beitritt des Landes war in den letzten Stunden vor dem Termin wenig zu spüren. Die Bevölkerung ist offensichtlich von der lange ersehnten „Rückkehr nach Europa“ nicht elektrisiert – trotz all der Feuerwerke und Konzerte.

„Kroatien hat nach der Unabhängigkeit 1991 immer wieder beschworen, es gehöre zu Mitteleuropa und nicht zum Balkan“, sagt Ante Babic vom Zentrum für internationale Entwicklung, einem Thinktank für Wirtschaftsfragen. „Und genau das ist das Problem.“ Vor lauter Slogans wie „Wir sind ja ein europäisches Land“ habe man sich nicht genug angestrengt, die Wirtschaft auf den Schritt für die Integration in die Europäische Union und damit auf den Wettbewerbsdruck vorzubereiten.

Weder die staatliche Verwaltung noch die Wirtschaft habe trotz der im Zuge der Beitrittsverhandlungen veränderten Gesetze seit 2005 richtig Fahrt aufgenommen. So wurden in Schwierigkeiten geratene Staatsbetriebe zu lange subventioniert, statt ihre Wettbewerbsfähigkeiten durch radikale Maßnahmen zu stärken. Die ehemals Zehntausende von Arbeitsplätzen garantierende Werftindustrie ist dafür nur ein Beispiel. Die strukturellen Probleme würden durch die Wirtschafts- und Finanzkrise in der EU und vor allem im direkten Nachbarland, dem EU-Mitglied Italien, nur noch verstärkt.

Mit dem EU-Beitritt läuft Kroatien nun Gefahr, seine bisher wichtigsten Märkte in Serbien, Bosnien und Herzegowina und anderen exjugoslawischen Staaten zu verlieren. Denn mit der Mitgliedschaft in Europa werden zwar Güter und Waren aus der EU billiger – die kroatischen Exporte in die Efta-Zone, der die exjugoslawischen Nachbarn angehören, aber verteuern sich um über 20 Prozent. Gerade die in Kroatien hoch entwickelte Lebensmittelindustrie hat schon Auslagerungen der Produktion nach Bosnien und Serbien angekündigt.

Die Arbeitslosigkeit ist in diesem Jahr ohnehin auf 20 Prozent gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit auf um die 40 Prozent. Der Eintritt in die EU wird diese Tendenz noch verstärken. Die Rentenversicherung ist in der Krise, die Überalterung der Gesellschaft belastet das System, 1,1 Millionen Rentner müssen finanziert werden. Kamen vor zehn Jahren noch 3 Einzahler auf einen Rentner, so sind es heute nur noch 1,18. Nach wie vor ist das juristische System ein Klotz am Bein – trotz der spektakulären Verhaftung des korrupten Expremiers Ivo Sanader 2010. Die Mühlen der Justiz mahlen zu langsam, sie ist selbst Teil der korrupten Mentalität vieler Entscheidungsträger.

Investitionsvorhaben stecken fest, weil die Verwaltung nicht in der Lage ist, in übersehbarer Zeit die Genehmigungen auszustellen. Deshalb tröpfeln ausländische Investitionen seit Ende des Kriegs 1995. Im Finanzsektor machten sich ausländische Banken breit, allen voran die Österreicher – und das nicht immer zum Nutzen Kroatiens.

Der einzige Lichtblick ist der Tourismus. Im vergangenen Jahr wurde mit 11,5 Millionen Besuchern ein neuer Rekord aufgestellt. Dabei spielt auch die Infrastruktur eine Rolle, die mit Milliardenhilfen aus Brüssel wesentlich verbessert wurde. Die neuen Autobahnen und Straßen können sich sehen lassen. Doch Wirtschaftsfachleute fordern mehr: den Ausbau und die Modernisierung des Eisenbahnnetzes vor allem zu den Häfen. Rijeka etwa könnte dem in der Kapazität beschränkten slowenischen Koper Konkurrenz machen und zum wichtigsten Überseehafen für Österreich, Ungarn, Tschechien und die Slowakei werden.

Mit dem EU-Beitritt läuft Kroatien Gefahr, seine bisher wichtigsten Märkte in Serbien, Bosnien und anderen exjugoslawischen Staaten zu verlieren

„Leider haben wir seit der Unabhängigkeit von Jugoslawien und der Zerschlagung des sozialistischen Systems das Wort Planung nicht mehr in den Mund nehmen wollen“, sagt Ante Babic, „doch genau die brauchen wir.“ Der Staat müsste in allen Wirtschaftszweigen die Veränderungen der Rahmenbedingungen planen, fordert er: „Wir müssen langfristig denken, nicht mit kurzem Atem wursteln wie bisher.“

Der EU-Beitritt könnte so zu einem „heilsamen Schock“ werden, hofft auch der Wirtschaftsexperte Professor Vladimir Cavrak. Die von Sozialdemokraten geführte Regierung hat bereits beschlossen, die Genehmigungsverfahren für Investitionen wesentlich zu beschleunigen und Sanktionen gegen Teile der Verwaltung angedroht, falls diese nicht mitziehen.

Ausländische Experten sehen große Chancen für Kroatien – wenn mit den Verwaltungsreformen Ernst gemacht wird. So weisen viele Institute auf das hohe Potenzial erneuerbarer Energien hin. Vor allem Solar- und Windenergie könnten in Kroatien sehr produktiv generiert werden.

Schon jetzt verlassen qualifizierte Leute die Staatsbetriebe und bauen neue mittelständische Unternehmen auf. Die Landwirtschaft, vor allem im östlichen Slawonien, war einstmals die Kornkammer Europas. „Wir haben Chancen, wir müssen sie nur ergreifen“, sagt Ante Babic.