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Archiv-Artikel

MUTMASSUNGEN ÜBER JAKOB, DER SCHON AUCH ZUR FAMILIE GEHÖRT, IM GRUNDE GENOMMEN. UND DAZU ETWAS NUDELSALAT STATT PARTYHOPPING Nichts zum Festhalten, nichts zum Mitsingen

VON LEA STREISAND

Eigentlich wollte ich echt auf die Piste gehen am Wochenende. So richtig volle Kanne. Aber na ja … na Gott … na ja … man wird auch nicht jünger.

Wie Onkel Klaus, der wurde 62 letzten Freitag, und am Samstag wurde Jakob 34. Onkel Klaus ist der Freund von Tante Erna und Jakob ist der Sohn eines alten Freundes meiner Mutter. Außerdem ist er noch der ehemalige Klassenkamerad meiner besten Freundin Franzi. Nein. Stopp. Gar nicht wahr. Er war mit Franzi auf einer Schule, aber eine Klasse drüber. Jedenfalls alles Familie, im Grunde genommen.

„In der Zeitung steht, dass wir zwei Hübschen heute in die Möbelfabrik gehen“, sagt Christoph, als er mich Samstagabend anruft. „Tatsächlich?“, sage ich, „Wer schreibt denn so was?“ – „Du“, sagt Christoph, „also? Gehen wir nun auf Party?“ – „Mhm“, sage ich, „ich bin schon auf ’ner Party.“ – „Is die gut?“, fragt er. „Ja, schon“, sage ich und schaue durch die Scheibe der Balkontür ins Wohnzimmer: Ein gutes Dutzend Erwachsene sitzt dort im Warmen, einige von denen kenne ich schon fast 20 Jahre! Sie essen Nudelsalat, trinken Rotwein und reden.

Jakob zum Beispiel hat gerade von den Irren erzählt, die immer bei ihm Anzeige erstatten, da rief Christoph an. Jakob ist Staatsanwalt. „Neulich hatte ich wieder einen Reichsdeutschen“, erzählte Jakob. „Watt fürn Ding?“, fragte Franzi. „Die ‚Reichsdeutschen‘ “, dozierte Jakob, „erkennen das Grundgesetz nicht an, weil es nie einen formellen Friedensvertrag mit den Alliierten gegeben habe. Es gab auch mal einen Typen, der sich selbst als autonomen Staat ansah und deshalb seine Strafzettel für Falschparken nicht bezahlen wollte.“ – „Die Frage ist“, sagt Christoph und holt mich zurück in die Gegenwart auf Christophs Balkon, wo ich stehe, mit dem Handy am Ohr, „gehen wir jetzt zusammen feiern oder nicht? Weil, wenn nicht: Ich steh auf der Gästeliste von dieser Elektroparty.“

Elektro ist gar nichts für mich, das weiß Christoph, da krieg ich Panikattacken. Kontextlose Musik? Mir viel zu unheimlich! Nichts zum Festhalten, nichts zum Mitsingen, kein Anfang, kein Ende, keine Ironie. Gruselig.

„Da läuft kein Michael Jackson“, sagt Christoph und trifft den Nagel des Problems auf den Kopf. Und da ich morgen, Sonntag, mit Tante Erna und Onkel Klaus einen Ausflug mache, will ich nicht erst um sechs zu Hause sein, weil siehe oben. Und vor sechs wäre ich auf keinen Fall zu Hause, ginge ich jetzt los, schließlich ist es fast zwölf. Halbe Stunde zum Loskommen, halbe Stunde zum Hinkommen, mindestens. Dann muss man noch reinkommen, sich warmtrinken. Eh man anfängt zu tanzen, ist es drei … Partyhopping in Berlin macht einfach keinen Spaß. Man verbringt die Nächte auf dem Fahrrad oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, verpasst die guten Tracks und die schönen Menschen und sitzt am Ende vor irgendeiner nach ranzigem Fett stinkenden Imbissbude auf der Straße, während drinnen jemand die Stühle hochstellt.

Deshalb sage ich zu Christoph: „Geh du mal auf deine Elektroparty, ich trinke hier noch ein Mineralwasser und fahre dann gepflegt nach Hause. Bis Pankow dauert’s auch ’ne Stunde.“ Ich hab schließlich auch bald Geburtstag.