Geile Pose im Spiegelbild

Mehr denn je dient heute das gemalte Selbstporträt als Medium des Verbergens: „Face to Face“ ist eine Übersichtsschau jüngerer Künstler in der Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst in Münster

AUS MÜNSTERKATJA BEHRENS

Das Klischee des unverstandenen Künstler-Märtyrers, den ein Trieb zum Arbeiten drängt, der eine quasi-religiöse Begründung für seinen Künstlerberuf sucht, weil er ein Legitimationsproblem verspürt – dieses stereotype Bild ist in Selbstbildnissen von Künstlern immer gern bedient worden. Der Konflikt zwischen Künstler und Publikum, zwischen Entfremdung, Unbehagen und Verkennung haben das gemalte Selbstporträt zu einem Instrument der Selbststilisierung werden lassen. Den Beigeschmack von Pose und Inszenierung – das zeigen die in Münster versammelten Beispiele zeitgenössischer junger Kunst deutlich – wird das Genre schwer los. Schön, wenn sich damit wenigstens spielen lässt.

Gail Kirkpatrick leitet seit über zehn Jahren die Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst in Münster. Vor einem Jahr ist die in einen Speicher im neu erschlossenen Hafen umgezogen. Die aktuelle Ausstellung „Face to Face. Künstlerselbstporträts“ versammelt zwölf Positionen jüngerer Künstler, deren Interesse die eigene Person ist. In der Ankündigung heißt es noch: „Die Künstler suchen Mitstreiter in der Erkenntnis-Schleife von Selbstreflexion, ambivalenter Identität und komplexer Alltagswirklichkeit.“ Tatsächlich aber suchen sie wohl vor allem Publikum. Die Erwartungen an die Selbstporträts der Künstler, so die Kuratorin, haben sich überraschenderweise nicht erfüllt. Seltsam cool und unberührt wirken die Bilder besonders dort, wo sie vorgeben, Seelentiefe zu spiegeln. Ein weniger zwanghafter Umgang mit der Biographie hingegen lässt Kunst oft wachsen.

Paradigmatisch für das etwas weinerliche Selbstbild des hypersensitiven Künstlers, in surrealistischer Feinmalerei ironisch gebrochen, sind die grau-blassen Bilder Marijn Akkermans. Sie zeigen den Künstler als kleinen Jungen, der sich versteckt und sein Gesicht verhüllt. In der Rückprojektion wird das Leiden des Knaben so als eine typische Erfahrung postuliert und bestätigt das bekannte Bild des weltabgewandten, natürlich sensiblen Künstlergenies.

Genau umgekehrt ist es bei der amerikanischen Malerin Karen Kilmnik. In luftigem Abendkleid vor einem barocken Wandleuchter schaut sie wie im Vorbeigehen über ihre magere Schulter: „Me Getting Ready to Go Out to a Rock Concert with Bernadette in Moskow in 1977“. Ein energischer schwarzer Strich markiert selbstbewusst und etwas beängstigend ihre Augenbraue und steigert den Blick, der in den Bann zieht. Ist dies eine Hommage an die legendären Augenbrauen der Frida Kahlo und das weibliche Selbstporträt schlechthin?

Verstrickt in die eigene Geschichte, doch mit spielerischer Eleganz, übersetzt Esther Rutenfranz ihre frühe Biographie in eine gezeichnete Mustertapete, für die sie Bilder ihrer Kindheit und Jugend verwendet: „Mandalas des frühen Selbst“. Umrisszeichnungen nach Foto-Vorlagen wiederholen sich seriell in kindlich konzentrierter Nahsicht, mit ihnen die Struktur der detaillierten aber bruchstückhaften Erinnerung. Das Gedächtnis formt aus ihnen Muster. Immer wieder drehen diese sich um einzelne Motive, dazwischen Fotografien, Märchengestalten auf Kindertaschentüchern, an einer anderen Wand ein gemaltes Kinderbildnis auf einem Katjeskarton.

Dass das Selbstporträt häufig dazu dient, gerade nicht zu viel von sich preiszugeben, auch das wird in der Ausstellung mehr als deutlich: In wild- genialer Verrücktheit kokettiert Jonathan Meese mit seiner Außenseiterrolle, die ihn immer noch zu begeistern scheint und bei Philipp Akkerman geht es penetrant und obsessiv immer nur um das Künstlerselbst, verhüllt und zugemalt durch kunsthistorische Referenzen – das Selbstporträt ist eben eine gut sitzende Maske.

Ausstellungshalle MünsterBis 09.04.2006Infos: 0251-6744675