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Archiv-Artikel

Prozac fürs Volk

Nach fünf Monaten sind die Macher der „Du bist Deutschland“-Kampagne berauscht von sich selbst. Wer ihre „Alles ist machbar“-Ideologie nicht teilt, wird eingemeindet: Wir sind doch alle ein Volk

VON MICHAEL AUST

Wenn sich Deutschlands kreative Elite um einen Kothaufen versammelt, gibt das zu denken. Das Kothaufen-Logo in Deutschlandfarben war gleich mehrfach auf dem Podium angebracht, als die Macher der „Du bist Deutschland“-Kampagne am Dienstag in Berlin Bilanz zogen. „Natürlich sind wir berauscht, das ist schließlich die meistbeachtete Kampagne mit sozialer Zielsetzung in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagte Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG und Initiator der Kampagne. Eigenlob stinkt, das bedeutete das Logo, das eigentlich ein motiviertes Männchen darstellt, an diesem Tag. Doch ist, wer die Nase rümpft, ein Miesepeter?

Kostenlose Spots

„Wir waren der Meinung, dass wir eine positive Stimmung im Land brauchen, die jeden zu mehr Eigeninitiative motiviert“, sagte Organisator Bernd Bauer zu den Gründen für die Kampagne. In einem Land, dessen Magazine Titelgeschichten über „Abstieg in die Armut“ machten, war es nach Meinung von 25 Medienunternehmen an der Zeit für einen Stimmungsaufheller.

Den Stoff sollte die ganze Medienmischpoke verdealen: In kostenlos produzierten Fernsehspots, auf Plakaten, in gratis geschalteten Anzeigen. Axel Springer Verlag, die ARD, Bertelsmann, Holtzbrinck und Gruner + Jahr und 18 andere Medienpartner waren dabei. So lächelten einem seit September 2005 prominente und weniger prominente Gesichter entgegen und verkündeten eine Nachricht: Du kannst es schaffen, denn „du bist Deutschland“. Vorbilder wurden gezeigt und als Paten des Erfolgs angepriesen: „Du bist Josef Ackermann“ war da zu lesen, und „Du bist Beate Uhse“. Und die Kampagne wurde wahrgenommen: Den ersten Fernsehspot, den neun Sender gleichzeitig zur Primetime brachten, sah ein Fünftel aller Deutschen.

Du bist Forrest Gump

Was an „Du bist Deutschland“ von Anfang an nervte, war jedoch nicht der mediale Overkill, sondern die Ideologie, die sie verbreitete: Wenn etwa zur süßlichen Melodie von „Forrest Gump“ eine Frau sagt: „Ich gehe acht Stunden am Tag arbeiten und habe vier Kinder zu ernähren – es ist alles machbar“ – was soll das anderes bedeuten, als dass Deutschland ein paar Forrest Gumps ganz gut zu Gesicht stünden? Zur Erinnerung: „Forrest Gump“ ist ein Film, der die Selfmade-Ideologie des amerikanischen Traums an einem tumben Helden vorführt. „Lauf, Deutschland, lauf“ – sollte das die Message der Kampagne sein?

Bezeichnend, dass dieselben Unternehmen, die in „Du bist Deutschland“ das Hohelied der Eigeninitiative singen, diese in ihren eigenen Häusern ausnutzen: Wer weiß, wie gern gerade Medien und Werbeagenturen auf junge motivierte Arbeitskräfte – Praktikanten genannt – zurückgreifen und wie schlecht sie diese bezahlen, versteht, warum sich Unternehmer die Ideologie gern zu Eigen machen.

Schwierig ist zudem der Umgang der Kampagne mit Kritik. Stolz präsentierten die Kampagnenmacher einen Spot von Stefan Raab, der sich über die Kampagne lustig machte, sowie die taz-Schlagzeile „Du bist SPD“. Und zwar als Beleg für ihren Erfolg: „Auch die taz wurde so zum Bestandteil der Kampagne“, freute sich Lars Cords, der Leiter des Kampagnenbüros.

Zu früh freut sich, wer glaubt, nach fünf Monaten sei der Motivationskurs endlich beendet. Schon sind neue Spots abgedreht, im Herbst soll „Du bist Deutschland“ vielleicht weitergeführt werden.

Es macht Spaß, sich an sich selbst zu berauschen. Hoffentlich wird Deutschland nicht abhängig.