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Archiv-Artikel

Alaaf mit Lücken

Punktuell scheint das Interesse am Alternativkarneval nachzulassen. Karten für die Strunx- und Stunksitzung gehen nicht mehr sofort alle weg

„Wir haben auch erstmals eine Restkartenbörse im Netz eingerichtet“

AUS AACHEN BERND MÜLLENDER

Das schmale Papphäufchen war mausgrau, als schäme es sich seiner Existenz. 25 Tickets für die Premiere der alternativen Aachener Strunxsitzung lagen übrig geblieben am Eingang. Das hatte es in 15 Jahren noch nie gegeben, sonst galten Strunx-Karten als eine Art Aachener Nebenwährung. Gründe? Schulterzucken.

Schon der Vorverkauf war dieses Jahr unerklärlich müde gewesen. In den Vorjahren musste sich bis spätestens 6 Uhr morgens anstellen, wer ab 11 Uhr 11 Tickets bekommen wollte. Dieses Jahr blieben insgesamt an die 400 der 3.000 Karten liegen.

Keiner weiß warum, „vielleicht das Wetter?“, spekulierte einer – aber das Wetter war gar nicht so schlecht. „Vielleicht wollen sich viele nicht antun: mitten in der Nacht da sein und dann tust du es vielleicht trotzdem vergeblich“, vermutet eine andere. Aber warum so plötzlich und warum so viele? Immerhin gingen die Verschmähten über Mundpropaganda weg – bis auf das traurige Häufchen am letzten Freitagabend.

Punktuell Ähnliches beobachten auch die Kölner mit ihrer legendären Stunksitzung. Die 48 Termine mit je 1.100 Zuschauern sind ausverkauft, dennoch sagt Sprecher Winni Rau: „Für ungeliebte Tage gehen die Karten nicht so schnell weg wie früher.“ Das Publikum sei wählerischer geworden, man gehe „nicht mehr bedingungslos zu jedem Termin“. Rau hat zudem beobachtet, dass „der Schwarzmarkt weniger boomt“, aber: „Wir haben auch erstmals eine Restkartenbörse im Netz eingerichtet“.

Oder haben sich Karnevalspersiflage und politisches Jeckenkabarett abgenutzt? In Köln waren die vergangenen beiden Jahre ungewöhnlich mäßig, dieses Jahr überbieten sich Besucher wieder in Lobeshymnen und auch die katholische Kirche hatte wieder mal beleidigt aufgejault (taz berichtete).

Auch in Aachen sind viele Nummern routiniert grandios: Im Kurs „Yoja für Jecke“ wird am „närrischen Shakra“ und dem „Schunkel-Assana“ gearbeitet. Und Alternativprinz Zentauer I., geschaffen aus alter Seifen-DNA der Wunderstute Halla, plant Aachens Allerheiligtum, die Reit-WM im August, aufzumischen und macht sich mit seinem Hufnarren, Horsetessen und sexy Boxenludern auf in die Soerser Stallungen.

Dort ist ein „Sauerbratenstand mit Eventschlachterei“ geplant: „Kurze Wege machen Gammelfleisch unmöglich.“ Das Publikum tobte. Vielleicht ist eine andere Nummer ungewollt Programm: „Wir müssen mal was Neues machen“, klagt einer der „4 lustigen 3“. „Neue Perspektiven?“ fragt entsetzt ein anderer zurück. „Das tut weh.“

Früher lungerten in Aachen immer welche vor dem Veranstaltungsort Kappertz-Hölle herum, die auf Restkarten hofften. In diesem Jahr: nichts. Ähnliches hört man aus Köln: „Manchmal stehen Leute mit Resttickets vor der Tür“, sagt Winni Rau, „aber sie werden sie meist nicht los.“ Offenbar ist die alternde Szene unflexibler und träger geworden: „Spontan“, so Rau, „macht sich kaum noch jemand auf.“

Strunxsitzung: 23.02. - 26.02.Stunksitzung: 24.02. - 28.02.