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Archiv-Artikel

Amerikanische Depression

Titelverteidiger Kanada scheidet ebenso wie die USA im Viertelfinale des olympischen Eishockeyturniers aus und ist so schlecht wie seit 1980 nicht mehr. Favorisiert sind nun die Russen

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Wayne Gretzky ist um eine Erfahrung reicher. Der ehemalige Überspieler der National Hockey League (NHL) fungierte bei diesen Olympischen Spielen als oberster Teammanager der kanadischen Mannschaft. Am Mittwochabend musste er mit ansehen, wie sein Team, der Titelverteidiger, im Viertelfinale des olympischen Eishockeyturniers 0:2 gegen Russland verlor. Die Kanadier hatten zum dritten Mal in vier aufeinander folgenden Spielen das Tor nicht getroffen – eine Katastrophe. Gretzky wollte dennoch nicht allzu gedrückt erscheinen: „Niederlagen machen Siege erst so richtig erfreulich“, sagte er; erst jetzt könne man ermessen, welche Bedeutung der Olympiasieg von Salt Lake City wirklich gehabt habe.

Mit solchen Sätzen werden sich seine eishockeybegeisterten Landsleute nicht abspeisen lassen. Schon länger wird darüber diskutiert, ob Gretzky und Cheftrainer Pat Quinn bei der Auswahl der Spieler wirklich alles richtig gemacht haben. Die beiden haben vor allem erfahrene Spieler berufen. Jetzt blickt halb Kanada beinahe neiderfüllt auf das russische Team.

Die Russen hatten nämlich keine Scheu, ihre Jungstars zu nominieren. Die Dribblings eines Jewgeni Malkin, eines 19-jährigen Juniors, gehören zu den Highlights dieses Turniers. Der Junge aus Magnitogorsk, dem nachgesagt wird, er habe genauso schnelle Hände wie Beine, hat bei seinem ersten großen internationalen Auftritt angedeutet, dass einmal ein ganz Großer aus ihm werden könnte. Als solcher gilt Alexander Owetschkin, 20, bereits. Er hat in der laufenden Saison ein Viertel aller Treffer der Washington Capitals erzielt. Er war es auch, dem in der 42. Minute der entscheidende Treffer gegen die Kanadier gelang.

In Kanada fragt man sich nun, warum der 19-jährige Sidney Crosby nicht in Turin auflaufen durfte. Er gilt als großer Hoffnungsträger in der NHL. Bei Olympia war er allerdings nicht am Start – ebenso wenig wie andere Jungspunde, Erik Staal oder Verteidiger Dion Phaneuf etwa.

In vier Jahren werden die Spieler dieser Generation dann die Verantwortung übernehmen müssen – in vier Jahren finden die Spiele in Vancouver statt, und da soll nach Möglichkeit ein Heimsieg her. Ob Wayne Gretzky allerdings dann noch für das Team Canada arbeiten wird, ist durchaus fraglich. Er hat zunächst einmal die volle Verantwortung für das Scheitern übernommen. Noch ist nicht klar, ob er weitermachen will. Dass neben Kanada auch die USA bereits im Viertelfinale (3:4 gegen Finnland) gescheitert sind, wird die Mannschaft von Pat Quinn kaum trösten.

Selbst wenn das Scheitern der Nordamerikaner als desaströs bezeichnet werden kann, so hat ernsthaft niemand mit einem Erfolg der US-Cracks bei den Spielen gerechnet. Die doch allzu positive Selbsteinschätzung der USA als Spitzenteam speist sich aus dem Erfolg beim World Cup 1996, einem Megaturnier, das in Zusammenarbeit des Internatiolen Eishockeyverbandes mit der NHL veranstaltet wurde. Im Team stehen immer noch etliche der Spieler, die 1996 dabei waren, deren beste Zeiten allerdings lange vorbei sind.

In den USA ist man zudem ein wenig entsetzt über den undisziplinierten Auftritt der Mannschaft. Zu viele Strafzeiten seien verantwortlich gewesen für das Ausscheiden im Viertelfinale. Außerdem wurde den pomadig wirkenden NHL-Stars vorgeworfen, dass sie sich nicht als Team präsentiert hätten.

Das war über Jahre hinweg auch das Hauptproblem der Russen. In deren Mannschaften spielten Jahr für Jahr Männer mit überragender Stock- und Schlittschuhtechnik. Dennoch konnten die Russen seit dem Olympiasieg von 1992 in Albertville – damals noch als GUS – nur einen Weltmeistertitel gewinnen (1993). Jetzt scheinen sie endlich eine Mannschaft gefunden zu haben, die auch konzentriert in der Verteidigung arbeiten kann, bei der es keine Spieler mehr gibt, die allzu egoistisch drauf sind und nur an spektakulären Solos interessiert sind.

Das russische Team präsentierten sich am Mittwoch immerhin so stark, dass Kanadas Trainer Pat Quinn sich verpflichtet fühlte, sein Team in Schutz zu nehmen: „Wir müssen uns für nichts schämen.“