: „Karneval soll Emotionen wecken“
INTERVIEW LUTZ DEBUS
taz: Verdammt lang her, diese „superjeile Zick“. Stephan Brings, wie sind Sie denn zur DKP gekommen?
Stephan Brings: Verdammt lang her? Der Titel kommt doch gar nicht von uns. Nein, im Ernst. Wegen der DKP muss ich aus meiner Familiengeschichte erzählen. Mein Vater ist zwei Jahre vor Kriegsende geboren. Der Opa Brings war nicht im Krieg, war unabkömmlich, hat irgendwas bei der Bahn gemacht. War trotzdem nie zu Hause. Die Oma hatte in den letzten Jahren ein Liebesverhältnis mit einem Zwangsarbeiter, einem verschleppten Rotarmisten. Und daraus ist dann mein Vater entstanden. Opa Brings hat das sein Leben lang nie gewusst. Mein Vater hat das auch erst als erwachsener Mann erfahren. 1968 hat ihm seine Mutter das auf ihrem Totenbett erzählt. Mein Vater ist eine Zeit lang zur See gefahren, dann hat er bei Ford Maschinenschlosser gelernt, stand immer bis zu den Oberschenkeln im Öl. Da merkte er, dass es das doch nicht gewesen sein könnte. Er hat die Begabtensonderprüfung gemacht und ist dann Hauptschullehrer geworden. In der 68er Zeit hat er viel gelesen und ist dabei links geworden. Und als er dann von alten Genossen gehört hat, wie sein leiblicher Vater gestorben ist – kaum ein sowjetischer Kriegsgefangener hat den Krieg überlebt –, ist er wohl Stalinist geworden. Mit der sowjetischen Besetzung Afghanistans 1979 hat er sich dann wieder geändert.
Und der Vater hat zum Sohn gesagt: Geh‘ mal zur DKP?
Nee, das nicht. Ich dachte selbst, das wär das Richtige. Als ich kapiert hab‘, wie die DKP funktioniert, dass die alle aus dem Osten finanziert waren, hab ich mich wieder abgewendet. Mit 16 Jahren hab ich das nicht gerafft oder wollte das nicht sehen. Keine Ahnung. Natürlich hatte ich das politische Engagement vom Vater. Es gibt ja auch Kinder, die sich gegen das stellen, was der Vater macht. Das hatte ich in politischen Dingen nie. Ich habe 15 Jahre mit meinem Vater in einer politischen Liedermacherband gespielt. Wir haben für die Gewerkschaft und für die VVN gespielt.
VVN, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Also quasi für den echten Opa?
Ja, irgendwie. Aber als dann die ganz alten Genossen weggestorben waren, nur noch die Neulinken da waren, haben wir uns da auch raus gezogen.
Ihre Band Brings spielt inzwischen für die SPD.
Ja, wir spielen für die SPD. Ich weiß nicht, ob ich für die PDS spielen würde. Die Leute müsste ich persönlich kennen. Für den Gysi würde ich immer spielen. Der ist ein linksgerichteter Mensch, der kapiert hat, dass die Welt so ist, wie sie ist. Wir können keinen Sozialismus installieren und Siemens enteignen. Für die SPD zu spielen, gegen die Merkel, das machte Sinn.
Die SPD hat inzwischen Angela Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt.
Jaaaa. Im Wahlkampf haben wir nicht mit dem Traumziel „Große Koalition“ gespielt. Aber die FDP ist draußen geblieben. Yeah!
Nochmal zu früher. Bei der DKP, das war die superjeile Zick?
Mein Bruder Peter und ich waren auch bei den Pionieren. Ich war da zehn Jahre alt. Da sind wir ins Ferienlager nach Zwickau und an den Scharmützelsee in der DDR gefahren. Da gab es nur Wald und Zelte. Das war nichts anderes als in der katholischen Pfadfinderbewegung. Es gab bei uns überhaupt keine politische Ausrichtung. Man konnte morgens zum Fahnenappell gehen, musste aber nicht. Ich bin da fast nie hingegangen. Da ist kaum jemand hingegangen. Wir haben da Hütten gebaut, Feuer gemacht, Banden gebildet, uns auf die Fresse gehauen. Ganz normal. Für die Eltern hat es 50 Mark für drei Wochen gekostet. War natürlich von der DDR subventioniert. Meine Eltern hatten sich gerade getrennt, und die hätten sich sonst so einen Urlaub für uns gar nicht leisten können.
Wie wird denn aus einem Kommunisten ein Karnevalist?
Es gibt im Karneval Katholiken und Kommunisten. Damals gab es auch eine DKP-Karnevalssitzung. Da haben auch die Bläck Fööss gespielt. Und ich kann eine Supermusik machen, wenn der Kreisvorsitzende der CDU hinter mir steht. Einer der nettesten Sitzungsleiter im Rheinischen Karneval ist der Wolfgang Bosbach. Der Typ hat‘s drauf. Wenn wir bei dem spielen in Bergisch Gladbach, da geht‘s ab. Ich verstehe mich gut mit ihm. Selbe Nummer: Fritz Schramma, Oberbürgermeister von Köln, ist bestimmt nicht mein politischer Freund. Aber ich kann mit dem Schramma feiern, weil er ein Demokrat ist, und das zählt. Ich würde niemals auf einer Sitzung der Deutschen Liga spielen. Höchstens wenn ich eine Pistole dabei hätte. Aber sonst spielen wir für jeden. Wir spielen beim Karneval von Ver.di und bei Sitzungen von ganz kleinen katholischen Gemeinden.
Im Pfarrsaal spielen Sie auch „Poppe, Kaate, Danze“?
Wir spielen „Poppe, Kaate, Danze“ überall.
Aber das Lied sorgte mal für einen Skandal?
Der alte Präsident vom Festkomitee Kölner Karneval, Hans Horst Engels, hat, als das Lied raus kam, die Gesellschaften angeschrieben, sie sollten uns ausladen.
Und was ist passiert?
Die haben alle sofort bei uns angerufen und gesagt, dass wir unbedingt die Nummer spielen müssen. Die wollten dem Engels zeigen: Uns sagst Du nicht, was wir tun. Zu der Zeit waren wir auch schon zu groß, das wär gar nicht gegangen. Aber den Bläck Fööss ist das auch schon passiert. Die hatten mal ein Lied über die Bundeswehr geschrieben. „Am Arsch der Welt“ hieß das Stück. Das wollte die Bundeswehr den Bläck Fööss verbieten. Da haben die gesagt: „Was wollt ihr uns im Kölner Karneval verbieten? Wir sind der Kölner Karneval.“
Sie haben den Zensurversuch also gut überstanden?
Wir werden von zwei, drei Vereinen nicht eingeladen. Aber das liegt eher daran, dass wir zu laut sind. Wir machen in der halben Stunde, in der wir dran sind, aus jeder Sitzung ein Rockkonzert.
Und mit den Karnevalsfunktionären klappt es jetzt?
Ja, mit dem Festkomitee gibt es keine Probleme. Aber wenn wir spielen, steht der Altpräsident Hans Horst Engels immer noch demonstrativ auf und geht raus. Der Saal lacht dann schon über den. Der Karneval ist doch dafür da, sich über andere Leute lustig zu machen. Jeder kennt zum Beispiel die Garden mit den alten Uniformen. Die haben sich gegründet, nicht um etwas in Erinnerung zu halten, sondern um sich über die Franzosen und Preußen lustig zu machen.
Aber gibt es nicht auch recht militaristische Elemente im Karneval?
Das meinen Außenstehende. Die stehen doch in ihren Uniformen da und reiben sich gegenseitig den Arsch aneinander. Das ist doch keine Traditionspflege – das ist Verarsche.
Außenstehende und Karneval. Das ist bestimmt ein spannungsreiches Verhältnis.
Wir haben eine Freundin aus Hamburg, die ist Fernsehansagerin und evangelisch. Die haben wir mal in die Südstadt mitgenommen. Sie hat zwei Stunden gebraucht, bis sie begriffen hat, dass das echt ist. Wir haben sie da rein geschubst und haben gesagt: Viel Spaß! An dem Abend haben wir sie nicht wieder gesehen. Mit dem Typen ist sie übrigens heute noch zusammen. Und inzwischen feiert sie auch regelmäßig Karneval.
Ich krieg aus Ihnen wohl kein karnevalskritisches Wort rausgequetscht?
Es gibt ein paar Sachen, die ich nicht gut finde. Sonntags sind die ganzen Herrensitzungen. Zwischen den Nummern läuft da immer so ein Nummerngirl über die Bühne. Eine halbnackte Frau. Das braucht keine Sau. Das gibt‘s aber nicht in den Stadtgrenzen, eher in der Provinz.
Und das Schingdarassapeng. Ist das was für die Ohren eines Rockers?
Es gibt Karnevalsmusik, die find‘ ich grässlich. Wenn man zum 17. Mal hört: Kölsche Mädche bütze jot, mer losse d‘r Dom en Kölle, geboren hier in Kölle am Rhing – also ehrlich, da fang ich an zu kotzen. Du kannst im Karneval auch ganz andere Sachen erzählen.
Und zwar?
Die Bläck Fööss haben angefangen, Lieder zu singen, die gar nicht vom Karneval handeln. Eines der schönsten Lieder „In unserm Veedel“ ist geschrieben worden nach der Zerstörung einer Straße. Die ging quer durchs alte Köln. Dann ist sie von der Nord-Süd-Fahrt durchschnitten worden und von der Bildfläche verschwunden. Wenn du Zwanzigjährigen, die zwanzig Jahre nach dem Schreiben des Lieds geboren sind, das Lied vorsingst, steht denen das Wasser in den Augen. Dann ist der Karneval geil. Denn Karneval ist nicht nur „Hoch die Tassen“ und was zu ficken suchen, sondern Karneval soll Emotionen wecken.
Im Karneval soll man weinen?
Als Willy Millowitsch gestorben ist, war die Totenmesse im Dom. Der Domprobst hat gesagt, ich mach‘ eine Riesenausnahme. Das war ja so, als wär ein König gestorben. Es war das allererste Mal in der Geschichte des Kölner Doms, dass auf der Orgel ein weltliches Lied gespielt wurde, ein Karnevalslied. Und zwar: „Ich bin ene Kölsche Jung“. Blöder Text. Aber 2.000 Leute im Dom waren am Heulen. Ich auch.
Ihre Lieder sind mit anspruchsvollen, kritischen Texten ausgestattet?
Unser erster Karnevalshit „Superjeile Zick“ fängt mit der Zeile an: „Maache mer uns ne Tüt an.“ Von den GEMA-Gebühren für das Lied hab ich mein Haus bezahlt. Wenn ich das Lied nicht geschrieben hätte, würd ich jetzt in einer Mietswohnung leben. Das Schöne war ja, dass diese erzkonservativen Knochen von dem Festkomitee in ihren Uniformen am Anfang noch mitgesungen haben. Vom Firmenleiter von Ford bis zum Chef von Rheinenergie. Die haben zunächst gar nicht gewusst, was das heißt.
Kiffen Sie selbst?
Nein, ich bin Sportler und Nichtraucher. Wenn ich an einem Joint ziehen würde, würde mir die Lunge zum Arsch rausfliegen.
„Superjeile Zick“, das klingt doch nach „Those were the days, my friend“?
Hab ich schon öfter gehört. Aber als ich das geschrieben hab, hab ich da nicht dran gedacht. Die Melodie ist ja auch ganz anders. Der Text ist ähnlich. Und es ist beides eine Polka. Die Polka war übrigens vorher völlig verschwunden aus dem Karneval.
Hatte es die im Karneval denn mal gegeben?
In den 30ern. Es ist eine jiddische Musik. Vor der Nazizeit gab es viel Polka. Es ist die verbreitetste Musik auf der Welt. Polka funktioniert überall. Ich fahr nach Australien, spiel Polka, und es klappt.
Fassen wir zusammen: Köln, Kommunismus, Katholizismus und Karneval ist eigentlich alles das Gleiche?
Ich war 15 Jahre in der DKP, aber ich bin immer noch in der katholischen Kirche. Manche nennen es Bergpredigt. Ich nenn das die verbesserte Form vom Kommunistischen Manifest. Die Kirche wird sich ändern. Ich werd das noch erleben. Irgendwann wird ein Lateinamerikaner Papst und dann wird aufgeräumt.