: Im Ausschuss darf gelacht werden
Kinder und Jugendliche in Charlottenburg-Wilmersdorf proben den Parlamentarismus: Im Kinder- und Jugendparlament des Bezirks kämpfen sie für Ampeln oder gegen teure BVG-Tickets. Von den Politikern fühlen sie sich nicht immer ernst genommen
von CIGDEM AKYOL
Sie sind sich noch nicht ganz einig darüber, wie teuer die Kondome künftig sein sollen. Die Gummis müssen schließlich für Schüler erschwinglich sein, alles andere wäre sinnlos. Zehn Jungen und Mädchen kichern verlegen. Die Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 17 Jahren sitzen an einem Tisch im Rathaus Wilmersdorf und diskutieren über den Aufbau von Kondomautomaten. Sie gehören zur Sonderkommission „Den Beschlüssen auf der Spur“, einer Arbeitsgruppe des Kinder- und Jugendparlaments (KJP) Charlottenburg-Wilmersdorf. Einmal im Monat treffen sie sich, um zu kontrollieren, ob die Beschlüsse des Nachwuchsparlaments auch umgesetzt werden.
Seit drei Jahren mischt das Kinder- und Jugendparlament in der Bezirkspolitik mit. Es besteht aus 60 jungen Parlamentariern und ihren 50 Stellvertretern. Jeder, der die Politik in seinem Kiez aktiv mitgestalten will, kann sich in der Schule oder im Jugendclub zur Wahl stellen. Wer von seinen Mitschülern gewählt wurde, darf anschließend in das KJP einziehen. Das Mandat gilt für ein Schuljahr.
Die Aufstellung von Kondom- und Tamponautomaten an Schulen ist dabei ein Dauerbrenner unter den Schülern. In der Charlottenburger Robert-Jungk-Schule stehen bereits zwei Geräte und werden von den Schülern eifrig benutzt. Aber dabei soll es nicht bleiben. Die jungen Politiker fordern zusätzlich Aufklärungsunterricht und weitere Automaten an anderen Schulen. Ein weiteres wichtiges Themengebiet ist der Straßenverkehr: Zum Beispiel sind die Jugendlichen sehr daran interessiert, dass eine neue Ampelanlage vor der Charlottenburger Schele-Schule in der Nähe des Olympiastadions installiert wird.
Das Parlament kommt in der Regel an fünf Terminen im Jahr zusammen, die nächste Debatte ist im April geplant. KJP-Vorsitzender Jan Hambura setzt die Tagesordnung fest. Spätestens eine Woche vor der Sitzung legt der 17-jährige Gymnasiast sie den Abgeordneten vor. Der Ablauf der Debatte gleicht der in einem „großen Parlament“. Im Plenum tragen die Nachwuchspolitiker zusammen, was es an ihrer Schule, in ihrem Stadtteil und Wohnumfeld an Problemen und Verbesserungsvorschlägen gibt.
Demokratie soll hier geübt und gelernt werden. Damit sich keiner benachteiligt fühlt, kann Jan Hambura eine Begrenzung der Redezeit beschließen. Überschreitet ein Redner die Zeit, kann der Vorsitzende ihm nach zweimaliger Ermahnung das Wort entziehen – genau wie im Bundestag. Alle müssen sich an die Regeln halten und den anderen zuhören, schließlich geht es um ernste Dinge. Stundenlange Diskussionen gebe es nicht, versichert Hambura, der das kleine Hohe Haus im Griff zu haben scheint. Er findet es selbstverständlich, sich politisch zu engagieren. „Wir backen kleine Brötchen“, sagt er, „aber es lohnt sich.“ Auch wenn er sich bescheiden gibt – den Jungpolitikern geht es nicht um Kleinigkeiten.
Die eigentliche Arbeit des KJP findet allerdings in den „Ausschüssen“ statt – den Arbeitsgruppen. In ihnen treffen sich die Kids einmal im Monat. Es gibt Arbeitsgruppen zu den Themen Schule, Verkehr und Öffentlichkeit. Unzählige Beschlüsse hängen an Pinnwänden in den Arbeitsräumen der Parlamentarier, alle Vorhaben sind säuberlich in Ordnern abgeheftet. Trotzdem scheint der Parlamentarismus keine trockene Angelegenheit zu sein: Bei den Besprechungen in den Gruppen wird viel gelacht.
Was die Jungpolitiker noch von Berufspolitikern unterscheidet, ist ihr Umgang miteinander. „Bei uns gibt es keine politischen Intrigen“, sagt Hambura. „Wir sind wie eine große Familie.“
Wird auf einer Parlamentssitzung ein Antrag von der Mehrheit beschlossen, reicht der Vorstand ihn an die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) weiter. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass in der Kommunalpolitik größeres Gewicht auf die Belange von Kindern und Jugendlichen gelegt wird.
Haben die Nachwuchsparlamentarier den Antrag eingereicht, müssen sie erst einmal abwarten – und aufpassen, dass er nicht im Dickicht der Bezirksbürokratie verschwindet. Um sich beizeiten Gehör verschaffen zu können, haben die KJPler Rederecht in der BVV.
Die Erfolgsbilanz des Kinderparlaments ist gemischt: Auf einen Antrag der KJP hin wurden alle Charlottenburger Jugendeinrichtungen mit einer Internet-Flatrate ausgestattet. Der Antrag für die Aufstellung der Ampel vor der Schele-Schule wurde dagegen von der BVV abgelehnt. In solchen Fällen sind die Jungparlamentarier machtlos, abgelehnte Anträge sind nichtig. Weil die Kids keine politischen Druckmittel haben, sind sie von den Fraktionen abhängig. Von denen fühlen sie sich nicht immer ernst genommen. KJP-Vorstandsmitglied Lilith Kwee beschwert sich über die CDU. Deren Politiker seien häufig ignorant, so die 16-Jährige. „Nur die Grünen haben uns angeboten, mit unseren Anregungen zu ihnen zu kommen.“ Kein Wunder, dass Hambura und Kwee – wie sie selber sagen – keine politischen Vorbilder haben.
Jan Hambura bearbeitet bereits das nächste Thema: Er kritisiert die Preispolitik der BVG. Der Jungpolitiker verlangt eine Preisermäßigung für Minderjährige: „Wenn ein 14-jähriges Mädchen zu seiner Oma fahren will, dann muss es denselben Preis wie ein Erwachsener zahlen“, bemängelt er. „Diese Regelung ist zutiefst ungerecht und in der aktuellen wirtschaftlichen Situation asozial“, hat er im Januar in einem offenen Brief an die BVG geschrieben.
Das Kinderparlament im Internet:www.kjp-cw.de